Salomes siebter Schleier (German Edition)
tumb wie Immobilienmakler. Sie kriegen den Mund nicht auf, es sei denn, man redet über Kohle. Oder ihre Karriere. Und kann dir auch nur einer von denen in die Augen sehen? O nein, mein Freund. Sie sind viel zu beschäftigt damit, über deine Schulter zu luren, denn sollte irgendwas Neues am Horizont auftauchen, kriegen sie es garantiert vor dir mit und können es entsprechend ausschlachten.»
«Genau das mag ich an ihnen», sagte Boomer. «Sie sind nicht die genialen Überflieger, wie ich immer dachte, wenn von berühmten Künstlern die Rede war. Sie sind genauso kleine Lichter wie du und ich.»
«Das war früher ganz anders. Künstler waren was Besonderes. Ein Schlag für sich. Und wie gesagt, das ist noch gar nicht so lange her.»
Zwar war Ellen Cherry von ihrer Einführung in die New Yorker Kunstwelt und der Erkenntnis, dass sie genauso war wie die von Seattle, nur größer, reichlich enttäuscht, doch lässt sich ihre Unzufriedenheit möglicherweise zum Teil auch auf die Tatsache zurückführen, dass ihr Mann auf allen Partys gefeiert und als kreativer Künstler gehandelt wurde, während sie, abgesehen von einem gelegentlichen Liebhaber unbezähmbarer Locken, im Großen und Ganzen ignoriert wurde.
Boomer ging weiterhin aus.
Vanity Fair
wusste zu berichten, er sei «Ultima Sommervells ständiger Begleiter». Die Kunstwelt lag ihm zu Füßen. Er war ein willkommener Schuss Gammaglobulin für ihr eifersuchtzerfressenes System. Leute, die es besser hätten wissen müssen, waren entzückt von seinen ungeschliffenen Manieren, seinen Muskeln, seinen Hawaiihemden und der neuen roten Baskenmütze. Wenn Ultima und er in ihrem Lieblingsclub einen Tango hinlegten und Boomer wegen seines lahmen Fußes bizarre kleine Variationen einbaute, war nicht einmal die Fackel der Freiheitsstatue gut genug, um ihm Feuer für seine billigen Stumpen zu geben.
Ellen Cherry hockte derweil im Ansonia, eingehüllt in ihren Glauben an das Einmalige und Schöne, und sie tröstete sich mit ihrem Augenspiel und noch mehr mit der Gewissheit, dass ( 1 ) ein Scheck vom Museum of Modern Art ins Haus stand und ( 2 ) Boomer sie vorzüglich vögeln würde, wenn er nach Hause kam – obgleich sich dieser Zeitpunkt heimlich, still und leise mehr und mehr in Richtung Sonnenaufgang zu verschieben schien.
Erst an dem Morgen, als Boomer, statt mit ihr zu vögeln, über Kunst reden wollte, begann das große Kettensägenmassaker in ihrem Pflaumenhain.
«Mindestens sechs palästinensische Jugendliche kamen ums Leben, als gestern nach einmonatiger Ruhepause erneut Demonstrationen, Streiks und Proteste in der besetzten West Bank und im Gazastreifen aufflammten und von israelischen Soldaten mit Waffengewalt unterdrückt wurden.
Die seit zwanzig Monaten andauernden Unruhen forderten nach offiziellen israelischen Schätzungen aufseiten der Palästinenser bislang mindestens vierhundert Menschenleben. Etwa eintausend Personen wurden verletzt. Palästinensische Quellen sprechen von sechshundert weiteren Toten und mehreren tausend Verletzten.»
Ellen Cherry hatte den Radiowecker auf drei Uhr morgens gestellt, damit sie aufstehen und sich die Zähne putzen konnte, um Boomer mit einem frischen, nach Minze duftenden Mund zu empfangen, wenn er nach Hause kam. Statt mit Musik unterbrach das Radio ihren Schlaf jedoch mit dem Bericht eines Auslandskorrespondenten aus Jerusalem.
Irgendwie fing sie an, darüber nachzudenken, wie viel Uhr es jetzt wohl in Jerusalem war, ob es dort auch um ihren Mundgeruch besorgte Ehefrauen gab und ob Israelis und Palästinenser wohl verschiedene Sorten Zahnpasta benutzten. Sie fragte sich, ob Jezabel sich die Zähne geputzt hatte an jenem verhängnisvollen Tag, an dem sie «ihr Gesicht schminkte und ihr Haupt schmückte», bevor sie ans Fenster trat. Eine volle halbe Stunde lag Ellen Cherry da und zerbrach sich den Kopf über all diese Dinge, doch schien die Zeit keine Rolle zu spielen, denn Boomer kreuzte ohnehin erst um Viertel nach fünf auf. Mittlerweile waren die Bakterien in ihre saubere Mundhöhle zurückgekehrt wie Badende nach einem Sommergewitter an den Strand und veranstalteten schale Picknicks.
Boomer kam durch die Tür wie Rodins «Denker» auf Schlittschuhen. Er bewegte sich rasch, fast gleitend, wirkte jedoch nachdenklich und zerstreut. Ellen Cherry wachte auf und wollte schon aufstehen, um sich noch einmal die Zähne zu putzen (bikinibekleidete Mikroben hörten bereits ein fernes Donnergrollen), überlegte es
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