Salomon – Ein Engel auf Samtpfoten
richtig von ihr Abschied genommen. Ich sah, wie sie über den Rasen ging und langsam etwas aufhob, was Joe ebenfalls aus dem Wohnwagen geworfen hatte.
»Ellen hat es so gern gemocht! Eine Schande ist das.« Sie hielt das bernsteingoldene Samtkissen hoch. Es tropfte und glänzte vor Nässe. »Darum kümmere ich mich«, sagte Pam zu Nick. »Ich werde es waschen, trocknen und wieder in Ordnung bringen.«
Sie ging mit dem Katzenkäfig in der einen und dem Samtkissen in der anderen Hand weg. Ich wäre ihr nur zu gern nachgerannt. Wenn ich aber gewusst hätte, was noch alles passieren würde, wäre ich bestimmt in den Käfig gesprungen und hätte Jessica hinter mir hergezogen.
Jessica trabte zielstrebig durch das Wäldchen. Ihr Instinkt war gut, sie wartete nicht einfach ab. Ich folgte ihr neugierig über die hintere Hecke hinaus und über die Felder, immer weiter und weiter. Sie drehte sich nicht nach mir um. Nur ein einziges Mal hielt sie inne, um eine Kuh anzufauchen, die es gewagt hatte, sie zu beschnuppern. Am Ende eines Feldes kletterten wir über einen Mauertritt und hinein in den Wald.
Mein Engel wollte mit mir sprechen, aber ich beachtete ihn nicht. Er versuchte, mich davon abzuhalten, Jessica zu folgen, doch davon wollte ich nichts hören. Jessica brauchte mich, und ich brauchte sie.
Der Mauertritt war wie eine Brücke in eine fremde Welt. Grüne Pfade, moosige Bachläufe, Farnkraut. Alte Bäume stemmten ihre Wurzeln in Steinmauern, Senken und Löcher voller Blätter. Ich bemerkte kleine Gesichter, die uns beobachteten. Im Wald lebten Elfen und Zwerge.
Jessica war ganz offensichtlich schon einmal hier gewesen. Sie führte mich zu einer trockenen Höhle unter einer Buche, die mit Moos und raschelnden Buchenblättern ausgepolstert war: unser neues Zuhause. Es war okay, besser als der Dachsbau.
In der ersten Nacht konnte ich nicht schlafen. Jessica rollte sich zusammen und legte ihren Schwanz ordentlich um die rosa Pfötchen. Beim Blick auf ihr schlafendes Gesicht fühlte ich mich zum Wachhund berufen. Ich lauschte den Geräuschen des Waldes, dem Wind, der in den Baumkronen rauschte, dem vertrauten Rumoren der Dachse, dem schnellen Trab eines Fuchses, dem leisen Rascheln von Mäusen und Vögeln. Kein menschlicher Laut weit und breit.
Ich hatte noch nie in der Wildnis gelebt und fürchtete mich. Immer waren Menschen da gewesen, die mir halfen. Niemals zuvor hatte ich niemanden zum Liebhaben gehabt. Schon vierundzwanzig Stunden lang hatte ich nicht mehr geschnurrt. Mein Herz tat mir weh. Ich wollte zu Ellen und John. Aber das konnte ich Jessica nicht sagen.
Mit der Zeit gewöhnten wir uns an die Nässe und Kälte. Wenn wir Hunger hatten, mussten wir jagen. Wir teilten uns die Zeit ein: fressen, putzen, schlafen.
Manchmal hatten wir auch Spaß und jagten uns durch die Bäume. Jessica war auf einmal ganz anders als bei den Menschen.
»Was ist mit deinem Traum passiert, bei einer alten Dame zu wohnen?«, fragte ich sie.
»Oh, das hat noch Zeit«, sagte sie. »Mir gefällt es gerade so, wie es ist.«
»Mir aber nicht«, sagte ich. »Ich will mein Leben nicht so verbringen.«
»Aber das ist wie Ferien«, sagte Jessica. »Kannst du das nicht genießen?«
Ich dachte nach.
»Nein«, antwortete ich schließlich. »Ich fühle mich zornig und verlassen.«
»Du hast doch mich.« Jessica gab mir einen Kuss auf die Nase, und gleich ging es mir besser.
Der Morgen war still und sonnig. Wir wollten aus dem schattigen Wald heraus und uns die Sonne auf den Pelz brennen lassen. Doch anstatt in Richtung Campingplatz verließ Jessica den Wald auf der anderen Seite. Wir trotteten auf einem geteerten Weg zu einer Brücke, die eine stark befahrene Straße überspannte.
Die Straße verstörte mich. Wir kauerten uns ans Geländer und lugten durch die Gitterstäbe auf die Lastwagen und Autos hinunter, die unter uns vorbeidonnerten.
Mein siebter Sinn sprang auf einmal an. Ich wandte mich nach Norden und starrte auf die Straße, die in der Ferne verschwand. Die Straße nach Hause. Die Straße zurück zu dem wunderschönen Haus, in dem wir mit Ellen gelebt hatten.
Ich stand auf und steckte meinen Kopf durch das Geländer. Ob es wohl möglich war, auf das Dach eines fahrenden Lastwagens zu springen?
»Mach das bloß nicht«, sagte Jessica und führte mich entschlossen von der Brücke herunter. Sie drehte sich um und sah mich verschmitzt an. Ihre goldenen Augen funkelten – wie immer, wenn sie ein Geheimnis hatte.
Sie rannte
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