Salto mortale
ihre lächelnde Bosheit
entwaffnete. Nie ging er ihr nach — denn er
hatte an seinem Bruder genug — er ließ sich
von ihr suchen, und so wurde sie, fast ohne es
zu merken, die Magd des kleinen Jungen, stets
bereit, ihn zu hätscheln und zu liebkosen, ihre
Launen den seinigen unterzuordnen.
Dafür entschädigte sie sich an Heinz, mit
dem sie spielte wie mit einem Ball: man schleu-
dert ihn weg, fängt ihn mit freudigen Händen
auf, wirft ihn abermals von sich, läßt ihn ver-
ächtlich in einen Winkel rollen und dort liegen,
oder trägt ihn sorglich wie eine Puppe mit sich
herum.
Der gutmütige Junge litt bei diesem Ball-
spiel mehr, als er merken ließ, und doch ver-
mochte er sich davon nicht dauernd zu befreien,
es fehlte ihm etwas, wenn in den spärlichen
Erholungsstunden, da er wieder ein Kind sein
durfte wie einst im ‚Sack‘, der kleine Teufel mit
dem Flachshaar, den neckischen blauen Augen,
den zierlich trippelnden Füßen und den schma-
len, langen Händen, die gleich gut streicheln
und schlagen konnten, den tausend unerwar-
teten Einfällen nicht um ihn war. Und lieber
noch ließ er sich plagen und foppen, als daß er
den Plagegeist entbehrt hätte. Und doch fürch-
tete er Bianca im Grunde seines Herzens, ohne
daß der Bubenstolz es sich selber eingestanden
hätte. Zuweilen, wenn sie ihm gar weh getan
hatte, faßte er den Entschluß, sie für immer zu
meiden, und dann konnte er ihr einen ganzen
Tag, eine ganze Woche lang trotzen. Aber sie
ruhte nicht, bis sie ihn auch in so hartnäckiger
Widerspenstigkeit gezähmt hatte. Sie ließ vor
ihm alle ihre Teufeleien los, schnitt komische
Fratzen und lauerte auf ein Lächeln um seinen
Mund, das sie dann gleich als Zeichen der Ver-
söhnung auslegte, sie sang oder summte unter
seinem Fenster oder vor seiner Türe unermüd-
lich das einzige Lied, das sie ordentlich gelernt
hatte:
„Treu und herzinniglich, Robin Adair,
Tausendmal grüß’ ich dich, Robin Adair …“
Empfand er den Zauber der weichen Melo-
die oder sprachen die schmeichelnden Worte
zu seinem Herzen? Einerlei, dem Liede konnte
er nie lange widerstehen. Wohl war ihm mit sei-
nen zehn, elf Jahren die Liebe noch fremd, aber
was sich im Jüngling zur Liebe entwickelt, lag
als Keim in ihm, begann sich quälerisch zu re-
gen und unterstützte Bianca in ihrem Treiben.
An einem Herbstregentag stieß Heinz in
dem düstern Flur des Wirtshauses auf die
Kameradin, die mit ihrer großen prächtigen
Puppe spielte, oder vielmehr sie fast beständig
abdrosch, denn Mütterchen war in gar übler
Laune und das Kind hatte den Trotz, auf einem
gespannten Seil nicht stehen zu wollen. Heinz
langweilte sich und hätte gerne als würdiger
Papa an dem Spiele teilgenommen.
„Willst du eine Seiltänzerin aus ihr machen?“
sagte er, nachdem er ihrem Treiben eine gute
Weile zugesehen hatte.
„Möchtest du sie etwa in die Lehre nehmen?“
gab sie schnippisch zurück.
„Nein, wir können keine Mädel brauchen!“
lachte er.
„Aha, du bist besser als die Mädel!“
Sie warf ihre Puppe auf den Flur, stellte sich
dicht vor den Jungen hin und sann einen Au-
genblick. Dann sagte sie langsam:
„Wem hat man gestern mehr geklatscht, mir
oder dir?“
Er sah ihr an, daß sie eine Bosheit auf ihn
abschießen wollte, und erwiderte verlegen:
„Das weiß ich nicht.“
„Das weißt du nicht? Doch das weißt du!“
Und sie fing an, vor ihm zu tänzeln wie auf dem
Seil, wobei sie ihre stechenden Blicke wie eine
Schlange auf ihn geheftet ließ. Er wollte gehen,
sie vertänzelte ihm den Weg und wiederholte
ihre Frage: „Wem hat man mehr geklatscht,
mir oder dir? Dem Buben oder dem Mädel?“
„Das ist mir einerlei!“
„Aber mir nicht! Gelt, du schämst dich!“
„Ich brauche mich nicht zu schämen, mir
scheint, man klatscht uns immer so viel als dir,
und gar gestern abend …“
„Euch, ja! aber nicht dir, ihm, ihm, dem
Freschino!“
Sie las auf Heinzens Gesicht, daß ihr Pfeil
getroffen hatte, und fuhr kalt und verächtlich
fort, immer mit dem Schlangenblick: „Du bist
ja nur das Seil.“
Er ahnte, daß eine neue Tücke in dem
Worte steckte, und tat in seiner Wehrlosigkeit,
als hätte er es überhört. Sie ließ ihn aber nicht
los und wiederholte: „Mein Papa hat g’sagt, du
seiest nur das Seil. Wie du ein dummes G’sicht
machst. Gelt, du verstehst mich nicht? So paß
auf: Du bist für Freschino, was das Seil für
mich.
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