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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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ihre lächelnde Bosheit
    entwaffnete. Nie ging er ihr nach — denn er
    hatte an seinem Bruder genug — er ließ sich
    von ihr suchen, und so wurde sie, fast ohne es
    zu merken, die Magd des kleinen Jungen, stets
    bereit, ihn zu hätscheln und zu liebkosen, ihre
    Launen den seinigen unterzuordnen.
    Dafür entschädigte sie sich an Heinz, mit
    dem sie spielte wie mit einem Ball: man schleu-
    dert ihn weg, fängt ihn mit freudigen Händen
    auf, wirft ihn abermals von sich, läßt ihn ver-
    ächtlich in einen Winkel rollen und dort liegen,
    oder trägt ihn sorglich wie eine Puppe mit sich
    herum.
    Der gutmütige Junge litt bei diesem Ball-
    spiel mehr, als er merken ließ, und doch ver-
    mochte er sich davon nicht dauernd zu befreien,
    es fehlte ihm etwas, wenn in den spärlichen
    Erholungsstunden, da er wieder ein Kind sein
    durfte wie einst im ‚Sack‘, der kleine Teufel mit
    dem Flachshaar, den neckischen blauen Augen,
    den zierlich trippelnden Füßen und den schma-
    len, langen Händen, die gleich gut streicheln
    und schlagen konnten, den tausend unerwar-
    teten Einfällen nicht um ihn war. Und lieber
    noch ließ er sich plagen und foppen, als daß er
    den Plagegeist entbehrt hätte. Und doch fürch-
    tete er Bianca im Grunde seines Herzens, ohne
    daß der Bubenstolz es sich selber eingestanden
    hätte. Zuweilen, wenn sie ihm gar weh getan
    hatte, faßte er den Entschluß, sie für immer zu
    meiden, und dann konnte er ihr einen ganzen
    Tag, eine ganze Woche lang trotzen. Aber sie
    ruhte nicht, bis sie ihn auch in so hartnäckiger
    Widerspenstigkeit gezähmt hatte. Sie ließ vor
    ihm alle ihre Teufeleien los, schnitt komische
    Fratzen und lauerte auf ein Lächeln um seinen
    Mund, das sie dann gleich als Zeichen der Ver-
    söhnung auslegte, sie sang oder summte unter
    seinem Fenster oder vor seiner Türe unermüd-
    lich das einzige Lied, das sie ordentlich gelernt
    hatte:
    „Treu und herzinniglich, Robin Adair,
    Tausendmal grüß’ ich dich, Robin Adair …“
    Empfand er den Zauber der weichen Melo-
    die oder sprachen die schmeichelnden Worte
    zu seinem Herzen? Einerlei, dem Liede konnte
    er nie lange widerstehen. Wohl war ihm mit sei-
    nen zehn, elf Jahren die Liebe noch fremd, aber
    was sich im Jüngling zur Liebe entwickelt, lag
    als Keim in ihm, begann sich quälerisch zu re-
    gen und unterstützte Bianca in ihrem Treiben.
    An einem Herbstregentag stieß Heinz in
    dem düstern Flur des Wirtshauses auf die
    Kameradin, die mit ihrer großen prächtigen
    Puppe spielte, oder vielmehr sie fast beständig
    abdrosch, denn Mütterchen war in gar übler
    Laune und das Kind hatte den Trotz, auf einem
    gespannten Seil nicht stehen zu wollen. Heinz
    langweilte sich und hätte gerne als würdiger
    Papa an dem Spiele teilgenommen.
    „Willst du eine Seiltänzerin aus ihr machen?“
    sagte er, nachdem er ihrem Treiben eine gute
    Weile zugesehen hatte.
    „Möchtest du sie etwa in die Lehre nehmen?“
    gab sie schnippisch zurück.
    „Nein, wir können keine Mädel brauchen!“
    lachte er.
    „Aha, du bist besser als die Mädel!“
    Sie warf ihre Puppe auf den Flur, stellte sich
    dicht vor den Jungen hin und sann einen Au-
    genblick. Dann sagte sie langsam:
    „Wem hat man gestern mehr geklatscht, mir
    oder dir?“
    Er sah ihr an, daß sie eine Bosheit auf ihn
    abschießen wollte, und erwiderte verlegen:
    „Das weiß ich nicht.“
    „Das weißt du nicht? Doch das weißt du!“
    Und sie fing an, vor ihm zu tänzeln wie auf dem
    Seil, wobei sie ihre stechenden Blicke wie eine
    Schlange auf ihn geheftet ließ. Er wollte gehen,
    sie vertänzelte ihm den Weg und wiederholte
    ihre Frage: „Wem hat man mehr geklatscht,
    mir oder dir? Dem Buben oder dem Mädel?“
    „Das ist mir einerlei!“
    „Aber mir nicht! Gelt, du schämst dich!“
    „Ich brauche mich nicht zu schämen, mir
    scheint, man klatscht uns immer so viel als dir,
    und gar gestern abend …“
    „Euch, ja! aber nicht dir, ihm, ihm, dem
    Freschino!“
    Sie las auf Heinzens Gesicht, daß ihr Pfeil
    getroffen hatte, und fuhr kalt und verächtlich
    fort, immer mit dem Schlangenblick: „Du bist
    ja nur das Seil.“
    Er ahnte, daß eine neue Tücke in dem
    Worte steckte, und tat in seiner Wehrlosigkeit,
    als hätte er es überhört. Sie ließ ihn aber nicht
    los und wiederholte: „Mein Papa hat g’sagt, du
    seiest nur das Seil. Wie du ein dummes G’sicht
    machst. Gelt, du verstehst mich nicht? So paß
    auf: Du bist für Freschino, was das Seil für
    mich.

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