Salto mortale
Klatscht man mir oder dem Seil? Du
kannst ja nichts, nicht einmal einen Salto mor-
tale! Ja, wenn ihr den Freschino nicht hättet,
hat mein Papa g’sagt.“
Nun ließ sie ihn los und streckte ihm ihr
rotes, spitzes Zünglein fingerlang nach, als er
wie ein geschlagener Pudel davonschlich.
Er wußte, daß sie die Wahrheit gesprochen
hatte, er hatte sich das nämliche ja heimlich
schon manchmal geklagt. Aber er wußte und
ahnte bis zur Stunde nicht, daß die andern es
auch merkten. Diese Entdeckung rieb ihn schier
auf, der großgezogene und nun kleingeschla-
gene Ehrgeiz wühlte wie Gift in ihm.
Er hörte Franzens Stimme auf der Treppe. Er
konnte ihn jetzt nicht sehen, er verkroch sich in
das ihm zugewiesene Zimmerchen, schob den
Riegel vor und warf sich schluchzend auf das
Schaffell nieder, das vor dem Bette lag. Durch
die Türen und Gänge gedämpft drang Biancas
und Franzens Geplauder und Gelächter zu ihm
herauf. Bis jetzt hatte der Neid Heinz nur für
Augenblicke gepackt, nun aber nahm er ein
garstiges Gesicht an. Heinz hätte den Kleinen
jetzt schlagen können.
Franz kam die Treppe empor und rüttelte
an der verschlossenen Türe. Heinz rührte sich
nicht, es lag eine Last auf ihm, die ihn am
Boden festhielt und fast erdrückte. Oh, die
Schande, nichts zu sein als ein Seil, an dem
der andere seine Kunst zeigte! Und die andern
wußten es alle! Oh, diese Schande!
Eine Stunde später rüttelte es wieder an der
Türe; da schob Heinz den Riegel zurück und
der Kleine stürmte herein, neugierig, was denn
gewesen sei. Der „Große“ kehrte ihm den Rük-
ken und fand, als Franz ihn nach dem Grund
seines sichtlichen Kummers fragte, kein ande-
res als ein rauhes und abwehrendes Wort. So
war er noch nie gewesen, Franz begriff nicht
und wollte sich schmeichelnd wie ein Kätzlein
an ihn anschmiegen, wurde aber von unfreund-
lichen Händen zurückgestoßen. Kleinlaut und
dem Weinen nahe sagte er: „Wenn wir nur
heimgehen könnten, Heinz.“
Das Wort wirkte, es war auch Heinz aus
dem Herzen gesprochen: „Heim zur Mutter,
weg von diesem Leben, bei dem ich nichts bin,
als ein Seil!“ Oh, das giftige Wort!
Heinz wendete sich mit ungestümer Bewe-
gung gegen den Kleinen, umfaßte ihn mit be-
benden Armen, küßte und herzte ihn zärtlicher
als je und ließ den ganzen Tag kein Auge von
ihm. Dabei vergaß er seinen Schmerz halb.
Als ihm aber am Abend bei der Vorstellung
der Saal entgegenrauschte und -klatschte, war
es ihm, es dringe ihm eine Nadel langsam und
tief und schmerzlich in die Brust. Er wußte,
woher der böse Stich kam.
In jener Nacht fand er den Schlaf lange nicht,
und das Heimweh drückte ihn. Er dachte an
die Tage, da er im ‚Sack‘ und in der Schreiner-
werkstätte gespielt, da er aus dem Dachstüb-
chen, ihrem luftigen Lugüberdach, nach den
Katzen und Sperlingen, den Schwalben und
Tauben geschaut und noch nicht gewußt hatte,
daß es mit Menschen gefüllte Säle gibt, die
Beifall klatschen und Beifall versagen können,
grausame Säle, die ihm nun zu entsetzlichen
Folterkammern geworden waren.
Tags darauf, in einem unbewachten Augen-
blicke, versuchte er von einem Stuhl herab einen
Purzelbaum zu schlagen, das Kunststück, das
ihm immer nicht gelingen wollte. Er zog sich
eine große Beule am Hinterkopf und, da diese
nicht verborgen blieb, eine strenge Zurechtwei-
sung von seiten des ‚Direktors‘ Ercole zu.
Vor Bianca floh er jetzt, wo immer er ihr
Flachshaar flattern sah, wann immer er ihre
helle Stimme irgendwoher locken hörte. Er
fürchtete ihre Zunge wie ein Schwert. Sie aber
brauchte ihren Spielball, schlich ihm nach,
sang ihm die süßeste Stelle ihres Liedes:
„Mancher schon warb um mich, Robin Adair,
Treu aber lieb’ ich dich …“
Sie sah ihn, wenn sich Gelegenheit bot, mit
Blicken an, in denen alle Verführung schillerte.
Demut, Trauer, Zärtlichkeit, Abbitte, Schalk-
heit, und sie ruhte nicht, bis sie ihn sich wieder
willig gemacht hatte wie zuvor. Nach der Ver-
söhnung trat sie ihm ein paar Tage lang entge-
gen und ging sie mit ihm um, wie eine verliebte
Sklavin mit ihrem Herrn. Von Franz wollte sie
dann nichts wissen, sie streifte ihn mit jenen
verächtlichen Blicken, die Heinz zur Genüge
kannte, und die ihm selber schon so oft weh
getan hatten.
All das war aber nur Berechnung. Sobald
Heinz wieder zuversichtlicher wurde, die Wun-
de, die sie ihm beigebracht hatte, am Verhar-
schen war, griff
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