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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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Klatscht man mir oder dem Seil? Du
    kannst ja nichts, nicht einmal einen Salto mor-
    tale! Ja, wenn ihr den Freschino nicht hättet,
    hat mein Papa g’sagt.“
    Nun ließ sie ihn los und streckte ihm ihr
    rotes, spitzes Zünglein fingerlang nach, als er
    wie ein geschlagener Pudel davonschlich.
    Er wußte, daß sie die Wahrheit gesprochen
    hatte, er hatte sich das nämliche ja heimlich
    schon manchmal geklagt. Aber er wußte und
    ahnte bis zur Stunde nicht, daß die andern es
    auch merkten. Diese Entdeckung rieb ihn schier
    auf, der großgezogene und nun kleingeschla-
    gene Ehrgeiz wühlte wie Gift in ihm.
    Er hörte Franzens Stimme auf der Treppe. Er
    konnte ihn jetzt nicht sehen, er verkroch sich in
    das ihm zugewiesene Zimmerchen, schob den
    Riegel vor und warf sich schluchzend auf das
    Schaffell nieder, das vor dem Bette lag. Durch
    die Türen und Gänge gedämpft drang Biancas
    und Franzens Geplauder und Gelächter zu ihm
    herauf. Bis jetzt hatte der Neid Heinz nur für
    Augenblicke gepackt, nun aber nahm er ein
    garstiges Gesicht an. Heinz hätte den Kleinen
    jetzt schlagen können.
    Franz kam die Treppe empor und rüttelte
    an der verschlossenen Türe. Heinz rührte sich
    nicht, es lag eine Last auf ihm, die ihn am
    Boden festhielt und fast erdrückte. Oh, die
    Schande, nichts zu sein als ein Seil, an dem
    der andere seine Kunst zeigte! Und die andern
    wußten es alle! Oh, diese Schande!
    Eine Stunde später rüttelte es wieder an der
    Türe; da schob Heinz den Riegel zurück und
    der Kleine stürmte herein, neugierig, was denn
    gewesen sei. Der „Große“ kehrte ihm den Rük-
    ken und fand, als Franz ihn nach dem Grund
    seines sichtlichen Kummers fragte, kein ande-
    res als ein rauhes und abwehrendes Wort. So
    war er noch nie gewesen, Franz begriff nicht
    und wollte sich schmeichelnd wie ein Kätzlein
    an ihn anschmiegen, wurde aber von unfreund-
    lichen Händen zurückgestoßen. Kleinlaut und
    dem Weinen nahe sagte er: „Wenn wir nur
    heimgehen könnten, Heinz.“
    Das Wort wirkte, es war auch Heinz aus
    dem Herzen gesprochen: „Heim zur Mutter,
    weg von diesem Leben, bei dem ich nichts bin,
    als ein Seil!“ Oh, das giftige Wort!
    Heinz wendete sich mit ungestümer Bewe-
    gung gegen den Kleinen, umfaßte ihn mit be-
    benden Armen, küßte und herzte ihn zärtlicher
    als je und ließ den ganzen Tag kein Auge von
    ihm. Dabei vergaß er seinen Schmerz halb.
    Als ihm aber am Abend bei der Vorstellung
    der Saal entgegenrauschte und -klatschte, war
    es ihm, es dringe ihm eine Nadel langsam und
    tief und schmerzlich in die Brust. Er wußte,
    woher der böse Stich kam.
    In jener Nacht fand er den Schlaf lange nicht,
    und das Heimweh drückte ihn. Er dachte an
    die Tage, da er im ‚Sack‘ und in der Schreiner-
    werkstätte gespielt, da er aus dem Dachstüb-
    chen, ihrem luftigen Lugüberdach, nach den
    Katzen und Sperlingen, den Schwalben und
    Tauben geschaut und noch nicht gewußt hatte,
    daß es mit Menschen gefüllte Säle gibt, die
    Beifall klatschen und Beifall versagen können,
    grausame Säle, die ihm nun zu entsetzlichen
    Folterkammern geworden waren.
    Tags darauf, in einem unbewachten Augen-
    blicke, versuchte er von einem Stuhl herab einen
    Purzelbaum zu schlagen, das Kunststück, das
    ihm immer nicht gelingen wollte. Er zog sich
    eine große Beule am Hinterkopf und, da diese
    nicht verborgen blieb, eine strenge Zurechtwei-
    sung von seiten des ‚Direktors‘ Ercole zu.
    Vor Bianca floh er jetzt, wo immer er ihr
    Flachshaar flattern sah, wann immer er ihre
    helle Stimme irgendwoher locken hörte. Er
    fürchtete ihre Zunge wie ein Schwert. Sie aber
    brauchte ihren Spielball, schlich ihm nach,
    sang ihm die süßeste Stelle ihres Liedes:
    „Mancher schon warb um mich, Robin Adair,
    Treu aber lieb’ ich dich …“
    Sie sah ihn, wenn sich Gelegenheit bot, mit
    Blicken an, in denen alle Verführung schillerte.
    Demut, Trauer, Zärtlichkeit, Abbitte, Schalk-
    heit, und sie ruhte nicht, bis sie ihn sich wieder
    willig gemacht hatte wie zuvor. Nach der Ver-
    söhnung trat sie ihm ein paar Tage lang entge-
    gen und ging sie mit ihm um, wie eine verliebte
    Sklavin mit ihrem Herrn. Von Franz wollte sie
    dann nichts wissen, sie streifte ihn mit jenen
    verächtlichen Blicken, die Heinz zur Genüge
    kannte, und die ihm selber schon so oft weh
    getan hatten.
    All das war aber nur Berechnung. Sobald
    Heinz wieder zuversichtlicher wurde, die Wun-
    de, die sie ihm beigebracht hatte, am Verhar-
    schen war, griff

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