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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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und
    er war manchmal auf Signor Ercole eifersüch-
    tig, weil er ihm so wenig zu tun übrig ließ. Gin-
    gen die Knaben durch die Stadt, so sah man sie
    immer Hand in Hand. Bei den Kunstübungen
    zitterte Heinz für den Kleinen, da der für sich
    nicht zu bangen vermochte; denn Franz machte
    auch das Verwegenste mit einem Vertrauen,
    als gäbe es für ihn keinen Fall, als sähe er stets
    zwei Engel an seiner Seite, um ihn zu halten,
    zu stützen und sanft aufzuheben. Darum ge-
    riet ihm auch alles so wohl, darum verließ ihn
    sein anmutiges Lächeln selbst in der heikelsten
    Lage nie, darum auch waren ihm die Hände
    zum Klatschen so willig.
    Heinz fühlte wohl, daß der Beifall, der ihnen
    nun fast allabendlich aus dem Zuschauerraum
    entgegenrauschte, zum kleinen Teile ihm galt,
    und sein Selbstgefühl erfuhr manche Demüti-
    gung. Zuweilen rüttelte ihn da der Neid gegen
    Franz, aber diese Regungen gingen rasch vor-
    über, besonders deshalb, weil Heinz sah, daß
    der Kleine sich auf den Beifall gar nichts ein-
    bildete, ja nicht einmal zu merken schien, daß
    die Leute ihm den Vorzug gaben.
    Nach ungefähr anderthalb Jahren trat für
    die kleine Wandertruppe eine wichtige Ver-
    änderung ein: sie vereinigte sich mit ein paar
    andern zu einer ansehnlichen Variétégesell-
    schaft, deren Leitung sich der rührige Signor
    Ercole anzueignen wußte. Waren da ein halbes
    Dutzend Schwarze, die ihre seltsamen Tänze
    aufführten; ein Mann mit allerlei dressierten
    Tieren, wie Hunden, Gänsen, Störchen, ja so-
    gar Schweinchen, Biestelvater nannte man ihn
    allgemein; drei Athleten mit kleinen Köpfen
    und elefantischen Gliedmaßen, und eine Seil-
    tänzertruppe: ein Elternpaar mit drei Söhnen
    und zwei Töchtern.
    Eines Morgens, als die Brüder im Garten
    des Gasthauses, in dem sie abgestiegen waren,
    spielten, kam ein fremdes Mädchen von etwa
    zehn Jahren auf sie zu, schlank, etwas bleich,
    mit flachsblondem, welligem Haar und hellen,
    glänzenden Augen.
    „Ihr seid die Zobelli, ich bin die Bianca, die
    Seiltänzerin; wir gehören nun zueinander, ihr
    wißt doch!“
    So redete sie die Knaben an. Sie hatten
    nichts zu erwidern, weshalb das Mädchen in
    Lachen ausbrach und rief: „Schaut doch nicht
    gar so dumm drein! Habt ihr denn noch nie ein
    Mädel g’sehn? Kommt! Wir wollen durch den
    Garten gehn!“
    Dies sagend, faßte sie Heinz am Arm und
    zog den halb Willigen, halb Widerspenstigen
    den bekiesten Weg entlang. Die ersten Rosen
    blühten im Garten. Als die Kinder an einem
    niedlichen Bäumchen vorbeikamen, sagte Franz
    zum Bruder. „Sieh da die Blumen!“ Da stand
    das Mädchen still und begann sich ein Vergnü-
    gen daraus zu machen, den Rosen mit ihrem
    langen, schmalen Mittelfinger Stüber zu geben
    und so den Boden mit roten Blättern zu besäen.
    „Das nicht!“ rief Heinz.
    „Was hast du mir zu befehlen, dummer
    Bub?“ zischte sie, faßte eine volle Rose, riß sie
    vom Zweige und schleuderte die Handvoll ro-
    ter Blätter dem Jungen ins Gesicht. Das Rot der
    Rose schien auf des Knaben Wangen abgefärbt
    zu haben, der Zorn loderte in ihm, er hätte sie
    schlagen mögen. Unwillig wendete er sich ab
    und zog Franz von dem seltsamen Wesen, das
    er nun beinahe fürchtete, weg. Er hatte nicht
    den Gedanken, aber das Gefühl, daß wer eine
    Rose so zerzausen könne, auch imstande sei,
    einem Menschen etwas Böses anzutun. Die fol-
    genden Tage ging er Bianca aus dem Wege; sie
    aber ließ sich nicht abschrecken, sie suchte die
    beiden Zobelli immer wieder auf, kehrte dabei
    ihr sanftestes Gesicht heraus und schmachtete
    mit ihren demütigsten Augen. Sie war mit zehn
    Jahren eine vollendete Schauspielerin, und es
    ging nicht lange, so hatte sie den schmollenden
    Heinz versöhnt und mehr als das.
    „Wir müssen zusammenhalten,“ sagte sie,
    „Kameraden werden und Freundschaft schlie-
    ßen.“ Aber sie verstand die Freundschaft auf
    ihre Weise. Sie war eine kleine launische Ty-
    rannin; durch das Wanderleben frühreif und
    selbständig geworden, brauchte sie jemand, auf
    den sie ihren niedlichen Seiltänzerschuh set-
    zen konnte, und dazu schienen ihr die dum-
    men fratelli Zobelli wie geschaffen.
    Freilich mit Franz trieb sie ihr Spiel nicht
    lange. Wenn sie ihn in ihrer herzlosen Herrsch-
    sucht zu einem Knechtlein herabdrücken wollte,
    steckte er die Hände in seine Hosentaschen und
    sah sie mit seinen glänzenden braunen Augen
    so störrisch und verächtlich und doch wieder
    so gutmütig an, daß er

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