SALVA (Sturmflut) (German Edition)
freie
Hand streckte ich nach vorne und versuchte, so gut es ging den Bäumen und
anderen Hindernissen auszuweichen. Ich wollte schneller laufen, aber es
herrschte absolute Dunkelheit. Ich hielt erst an, als ich über einen
umgestürzten Baum stolperte und das Gleichgewicht verlor. Ich riss Ihsan mit
und wir stürzten beide zu Boden. So gut es ging, raffte ich mich wieder auf,
kroch auf die andere Seite des Baumstammes und legte mich dort hin. Ihsan
folgte mir und wir lagen beide für ein paar Minuten einfach nur völlig still in
der nassen Erde. Ich versuchte meinen Atem zu beruhigen, aus Angst, sie könnten
ihn hören. Noch eine weitere Minute verging, bis Ihsan das Schweigen brach und
leise zu mir flüsterte.
„Was war denn los?“
„Was?“ Ich konnte nicht glauben, dass
er tatsächlich nichts mitbekommen hatte. Fast hätte man uns erwischt und nun
wissen sie Bescheid. Wir waren auf der Flucht. „Die Schutztruppen haben uns
gesehen und jetzt sind sie hinter uns her!“ Ich flüsterte auch. Der Ton meiner
Stimme war so ernst, dass es wie lautes Schreien wirkte. Ich konnte fühlen, wie
Ihsans Gesichtszüge in der Dunkelheit entgleisten. Wenn mein eigenes Herz nicht
so laut geschlagen hätte, dann hätte ich seines mit Sicherheit deutlich hören
können. Ein Schluchzen durchbrach die kurze Stille.
„Es tut mir so leid, Milla.“ Seine
Stimme war voller Verzweiflung. Er hatte erkannt, in welcher aussichtslosen
Lage wir uns befanden. Wir hatten es zwar geschafft zu fliehen, aber was nun?
Wie sollten wir wieder rauskommen aus Kalemegdan? Wir saßen in der Falle. Wir
konnten uns nur ergeben, wenn sie uns fanden und sie würden uns finden, daran
hatte ich keinen Zweifel.
„Bitte verzeih mir!“ In der Dunkelheit
konnte ich nichts erkennen, aber seine Stimme klang, als würde er weinen.
„Du hast den Zettel von Branko...“ Ich
ließ es nicht wie eine Frage klingen, denn ich kannte die Antwort, doch ich
wollte es aus seinem Mund hören.
„Ja.“ Er sagt nichts weiter. Keine
Erklärung keine Rechtfertigungen. Er wusste, dass es dafür keine gab. Branko
war nicht vertrauenswürdig, er war es nie gewesen. Ich hatte aus meiner
Abneigung gegenüber dieser Person nie einen Hehl gemacht. Was hatte sich Ihsan
nur dabei gedacht? Dieser Zettel schrie schon Falle! Als ich ihn zum
allerersten Mal sah. Ich hätte es wissen müssen und er auch. Es war so dumm, so
naiv. Er wollte es so sehr, dass er dieses bisschen Hoffnung vom Teufel
persönlich gekauft hätte. Wie konnte er das nur tun? Ich war so wütend, so
verzweifelt. Meine schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden und ich hatte
es kommen sehen. Ihsan traf im Grunde nicht die Schuld, denn ich hatte es
gewusst und trotzdem nichts getan. Ich war kein bisschen weniger naiv als er.
„Ich weiß es war dumm. Am Anfang habe
ich ihm auch nicht geglaubt, aber dann fing er an zu reden und es klang alles
so glaubwürdig und er sagte es mit so viel Überzeugung. Und dann war da noch
diese Sache, die er mir gezeigt hatte.“
„Welche Sache? Wovon sprichst du?“ Was
konnte Branko ihm gezeigt haben, dass er ihm so viel Vertrauen geschenkt hatte?
„Er... er war gesund. Ich meine er war
immun...“
„Immun?“ Ich verstand kein Wort. Immun
gegen was?
„Ja, immun gegen die Medikation und
gegen das Virus. Eben einfach gesund.“
„Woher willst du das wissen? Wie hat er
dir das bewiesen?!“ Ich konnte das nicht glauben. Was für einen Trick soll
Branko benutzt haben, um ihn so hinter das Licht zu führen?
„Er hat es mir gezeigt. Wir sind zu
einem Kontrolltablet gegangen und er hat seinen Chip einlesen lassen. Da stand,
dass er die letzte Medikation vor drei Stunden bekommen hatte, aber das war
völlig unmöglich weil wir da noch zusammen waren. Er sagte, der Chip sei
manipuliert. Das hat dieser Salva gemacht, der hat ihm auch das Mittel gegeben,
das ihn immun gemacht hat. Ich hatte es zuerst auch nicht geglaubt, dann hat er
es mir noch ein zweites Mal gezeigt und wieder das gleiche.“
„Vielleicht hatte der Chip nur einen
Fehler. Wer sagt denn, das er sich die Medikation nicht trotzdem geholt hat?“
„Aber wie soll das denn gehen? Sie
geben ihm doch keine, wenn er angeblich erst vor drei Stunden eine
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