SALVA (Sturmflut) (German Edition)
großes Stück von meinem
Shirt ab und faltete es zusammen, um es dann behutsam auf die Wunde zu drücken.
Es war ein Durchschuss, deshalb wusste ich nicht, wie viel es half. „Ich gab
dir Meines, nun gibst du mir Deines. Ich meine ein Stück von der Kleidung...“
Veit grinste mich schwach an und ich lächelte zurück. Es war in diesem Moment
einfach ihn als Freund zu sehen. Noch vor ein paar Wochen, in meinem alten
Leben, hätte ich mich niemals mit ihm angefreundet. Ich merkte erst jetzt, wie
sehr ich mich verschlossen hatte und wie ich mich selbst dadurch zum Leiden
verurteilt hatte. Ich musste wieder an Aljoschas Worte denken. Es war wirklich
leichter, wenn man positive Emotionen zuließ. Mir war unbegreiflich, wieso ich
diese Lektion gerade jetzt verinnerlichte. Wieso ich überhaupt so viele
Lektionen erst jetzt in meinem Leben lernen konnte, aber ich war mir sicher,
sie würden mir beim Überleben helfen.
„Du bleibst hier und ich versuche etwas
aufzutreiben, um deine Wunde zu versorgen.“ Bei dem bloßen Gedanken, allein
durch diese Todesstadt zu laufen, bekam ich wieder Angst, aber mir war bewusst,
ich musste sie verdrängen. Es gab nur diesen Weg. Er konnte in seinem Zustand
keine längeren Strecken mehr bewältigen, geschweige denn schnell auf Gefahren
reagieren. Die zusätzliche Belastung würde seine Lage nur verschlechtern. Er
hatte mir Rückendeckung gegeben, nun lag es an mir ihm zu helfen. Es war die
beste Lösung für diese Situation.
„Ja sicher! Und was soll ich machen?
Hier rumsitzen und auf dich warten? Kommt gar nicht in Frage. Die Verletzung
behindert mich kaum.“ Ich sah ihn skeptisch an. Vielleicht war es an der Zeit
offen zu sein. Veit brauchte ein bisschen was von seiner eigenen Medizin, oder
genauer, seinen eigenen Worten. Ich dachte kurz nach und antwortete ihm mit so
viel Lässigkeit in der Stimme, wie ich bewerkstelligen konnte.
„Das ist typischer Macho-Schwachsinn!
Zeig mir einfach, wie man schießt, ich krieg' das schon hin. Und versuch nicht
mit mir zu diskutieren. Du weißt selbst, dass meine Idee die einzige ist, die
jetzt wirklich Sinn macht. Wir können nicht durch kopflose Aktionen unsere
Chancen verringern, hier raus zukommen. Das wäre einfach idiotisch.“ Meine
Worte wirkten fremd auf mich, doch es fühlte sich nicht schlecht an, einmal für
einen Moment aus der eigenen Haut zu kommen. Veit gab ein schwaches Lachen von
sich und schüttelte langsam den Kopf, während er mir direkt in die Augen sah.
„Komm her.“ Er hob die Waffe vom Boden
auf und ich setzte mich zu ihm. Er erklärte mir ganz langsam, wie ich sie
entsicherte, durchlud und zielte. Ich kam mir etwas dämlich vor, denn er
erklärte es mit diesem Ton in der Stimme, als würde er ein kleines Schulmädchen
belehren, aber das war einfach seine Art. Ich hatte mich bereits damit
abgefunden. Er sagte mir auch, worauf genau ich achten musste, wenn ich
wirklich auf jemanden schießen müsste. Ich nahm die Waffe und ging alle
Schritte noch einmal durch, um zu überprüfen, ob ich auch alles verstanden
hatte. Danach teilten wir Wasser, das Essen und die Munition auf. Mir war etwas
unwohl dabei, mit dem Rucksack eines Soldaten durch die Stadt zu laufen. Es
würde mit Sicherheit die Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
„Hör mir jetzt genau zu Ludmilla.“ Veit
sah mich direkt an und hob wieder eine Hand, als würde er dirigieren. Die linke
Hand ließ er in seinem Schoss. Vermutlich waren die Schmerzen schlimmer, als er
zugeben wollte. „Versuch nicht, Soldaten etwas von ihrem Verbandszeug
abzunehmen. Gegen die wirst du nicht ankommen. Such dir welche von den
Schutztruppen. Die haben meistens ein Erste-Hilfe-Set bei sich. Achte auf ihr
Alter. Die jungen sind auch meist die Unerfahrenen. Mit denen wirst du es am
leichtesten haben.“ Diese Informationen waren nicht überraschend für mich.
Etwas gesunder Menschenverstand reichte aus, um selbst darauf kommen zu können.
„Aber am aller wichtigsten ist Folgendes: Sei vorsichtig bei den Leuten von der
anderen Seite. Nur, weil sie keine Soldaten oder Schutztruppen sind, heißt das
nicht, dass sie nicht gefährlich sind. Sie sind nicht automatisch deine
Verbündeten. Vergiss nicht, was ich dir über die Menschen gesagt habe, die
freiwillig hier sind. Die wollen keine Verbündeten, für die bist du nur im
Weg.“ Er meinte es tot ernst. Das konnte ich am Tonfall seiner Stimme
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