Salz und Asche - Roman
eines gewissen Stolzes erwehren, als er sie schließlich an den anderen Paaren, beobachtenden Männern und tuschelnden jungen Frauen vorbei zu ihrem Vater und ihren Schwestern zurückführte.
Dann allerdings kam ein Moment, den sie gefürchtet hatte. Lenhardt reichte der vor Freude strahlenden Regine die Hand zum Tanz. Neidlos beobachtete Susanne, wie bewundernd die Umstehenden nun ihre bildschöne Schwester
betrachteten. Lenhardt brachte sie zum Rande des Tanzbodens und fügte sich mit ihr in einen Reigenkreis ein. Er hatte Susanne versichert, dass er in der Lage war, Regine durch die Schritte und Figuren zu führen, auch wenn sie nicht weiterwusste. Es wurde rasch deutlich, dass er sich überschätzt hatte. Solange der Reigen sich gemeinsam drehte, hielt Regine mit, doch als sich die Paare einander zuwandten, blieb sie stocksteif stehen und starrte nur noch auf die Füße der anderen.
Lenhardt sprach einen Moment lang auf sie ein, legte dann aber rasch den Arm um sie und führte sie wieder zu ihrer Familie. Besorgt musterte Susanne die Miene ihrer Schwester. Zu ihrer Erleichterung wirkte Regine nicht unglücklich. »Das kann ich nicht. Das geht zu schnell«, sagte sie.
Lenhardt strich ihr über den Arm, bevor er sie losließ. »Das macht ja nichts. Tanzen wir eben wieder auf eurer Diele, da geht es ja.« Er sah Susanne an, als würde er um Verzeihung für seinen Irrtum bitten, doch sie warf ihm nichts vor. Sein warmherziges Bemühen um Regine tat ihr so wohl, dass sie nicht anders konnte, als ihn dafür zu lieben. Er warb nicht nur um ihre Zuneigung, er bewies wieder und wieder, dass er sie verdiente. Sie erwiderte sein Lächeln und fasste den Entschluss, ihm am Ende des Tages seine Antwort zu geben. Geschah bis zum Abschied nichts, was sie davon abbrachte, wollte sie es als Zeichen dafür nehmen, dass sie damit die richtige Entscheidung traf.
Nach einem weiteren lustigen Tanz spielten die Musikanten zu einer Sternpolka auf, und Susanne ließ sich von Lenhardt im Kreis schwingen wie die anderen Mädchen von ihren Kavalieren. Und wie die anderen juchzte sie und
fühlte sich von dem Leuchten in den Augen ihres Tänzers geschmeichelt.
Anschließend trat der Festredner der Schützengesellschaft zu den Musikanten, ließ die Schellen an seinem Stab klingen und rief unter allerlei Scherzen zum Schuss auf den Papagoy auf. Sogleich gingen die Männer, um ihre Waffen zu holen.
Susanne wanderte zum Zeitvertreib mit Liebhild und Regine an den Attraktionen vorbei, mit denen der Schützenfestplatz sich allmählich gefüllt hatte. Neben der Garküche hatte ein Puppenspieler seine kleine Bühne aufgebaut, der sich gleichzeitig als Sterndeuter anpries. Gleich daneben verkaufte ein Mann bebilderte Zeitungsbögen, die Susanne näher betrachtete. Sie nahm sich vor, ihrem Vater den Hinweis zu geben, dass wenigstens eines der Blätter wegen seiner kunstvollen Bilder von Interesse für seine Sammlung war. Die Worte zu lesen war kaum nötig, da der Verkäufer den Inhalt ununterbrochen mit den Umstehenden besprach. Es ging um die Entwicklung des Krieges zwischen Schweden und Polen.
Ein Stück weiter konnte man gegen einen geringen Einsatz Ringe über ein Gestell mit hölzernen Hahnenköpfen werfen. Es war eine Erinnerung an das ältere Spiel, bei dem die Teilnehmer lebende Hähne im Sand eingruben und mit kurzen Knüppeln nach ihren Köpfen warfen. Susanne hatte dieser Quälerei nie zusehen mögen. Selbst Hahnenkämpfe bereiteten ihr im Gegensatz zum Rest ihrer Familie wenig Vergnügen, und sie war heilfroh, dass man keinen lebenden Vogel mehr als Papagoy auf die Stange setzte, so wie es früher einmal üblich gewesen war. Nur Regine war da ihrer Ansicht, und damit war sie auch ihre beste Entschuldigung, solche Spektakel zu meiden. Lieber hätte sie
einen Tanzbären gesehen, wie einige Jahre zuvor auf dem Martinimarkt. Doch einen Bärenführer konnte sie dieses Mal unter den wenigen Gauklern nicht entdecken, die zwischen den Leuten ihre Vorstellung gaben. Während Liebhild und Regine einen von ihnen dabei bestaunten, wie er seine Bälle jonglierte, betrachtete sie, was die Höker laut rufend unter die Leute bringen wollten. Sie boten vorwiegend Hübsches zu kleinen Preisen: Bänder, Tüchlein mit und ohne Spitzen, Broschen und Ringe aus billigem Metall. Viele junge Männer konnten sich ein Stück von diesem Tand leisten, um ihn ihrem Mädchen als Erinnerung an den Festtag zu schenken. Und manch eine würde diesen Tand vielleicht ihr
Weitere Kostenlose Bücher