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Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Bäche, die aus Felsspalten hervorsprudelten. Manche strömten langsam, manche brachen mit unaufhaltsamer Vehemenz hervor. Jedesmal bestand er darauf, daß sie trank, auch wenn sie nicht wollte. Sie brauchte die Flüssigkeit, und vielleicht würde das Wasser ihr ja vorgaukeln, daß sie etwas im Magen hatte.
    Zuerst hatte sie aus seinen Händen getrunken. Doch bald konnte er es nicht mehr ertragen, die Bergquellen zu berühren. Nicht einmal die Aussicht, ihre weichen Lippen an seinen Fingern zu spüren, machte die Qual erleidenswert. Das Wasser war voll mit Leben. Starke Wesenheiten berührten ihn, forderten ihn auf, mitzukommen und sich im ewigen Kreis zu verlieren. Es machte ihn nervös, ängstigte ihn sogar. Furcht war nichts, das er oft fühlte, keine Emotion, die er ohne Gegenwehr akzeptierte. Was Furcht betraf, so teilte er weit lieber aus, als daß er sie hinnahm. Doch er war nur ein Feyon und somit kein Gegner für die Gesamtheit von Kreaturen, die ihren zeitverlorenen Tanz in jedem einzigen Wassertropfen tanzten.
    Die Begegnung hatte ihn an die Urkraft alter, geheimnisvoller Orte erinnert. Macht, die älter war als seine, dunkler oder auch heller, andersartig, nicht an Zeit und Ort gebunden. Üblicherweise mied er diese Mächte, denn sie bedeuteten ihm nichts, außer daß sie ihm seine Grenzen aufzeigten. Doch war es an der Zeit, sich daran zu erinnern und alte Verbindungen neu einzugehen.
    Er berührte die Höhlenwand, und lebendiges Wasser floß über seine Hand. Er zischte vor Beklemmung. Dieser Ort war alt, uralt. Berge, Wasser und Luft gebaren die unterschiedlichsten Lebensformen. Nichtmenschlich, kaum materiell, in manchem wie er und dann auch wieder vollständig anders. Solche Geschöpfe strotzten vor Macht, waren die Kraft, die Leben im Urzustand schuf, ohne menschliche Einwirkung. Er bedeutete ihnen nichts, war nicht mehr als ein vom Pfad abgekommener Nachkomme, der sich in der Menschenwelt verloren hatte, schwach und unbedeutend.
    „Ich weiß, daß ihr da seid“, murmelte er. Seine Stimme klang wie das Zürnen einer Bestie, und er entblößte seine langen Eckzähne, nicht aus Hunger oder Lust, sondern um sich als mächtiger Jäger zu manifestieren. Er spürte, wie seine Aggression und sein Grimm in ihm wuchsen. „Ich kann eure Gegenwart fast spüren. Ihr seht zu. Die Menschen haben euch einst als Göttinnen verehrt. Warum verdient ihr euch nicht diese Bezeichnung?“
    Wir sind, was wir sind, schien der salzige Fels in seinen Kopf zu sprechen. Wir sind, was wir waren. Wir werden sein, weil wir sind, gluckerte das Wasser.
    Er war nicht sicher, ob sein eigener Geist die vagen Antworten geformt hatte oder ob jemand ihm tatsächlich antwortete. Er hatte zu lange mit seiner Beute deren Welt geteilt, um kryptischen Prophezeiungen etwas abgewinnen zu können.
    „Zeigt euch!“ befahl er. „Bei der Macht, die mir innewohnt, befehle ich euch: Zeigt euch!“
    Du hast keine Befehlsgewalt über uns, sagten die Stimmen. Deine Herrschaft erstreckt sich nur auf Menschen, nicht auf uns. Wir sind das Rückgrat der Erde. Du bist nur eine Mücke, die in einer Sommernacht nach Blut sucht. Vetter, du bist vom Weg abgekommen.
    Er bekämpfte den Instinkt, auf die Knie zu sinken. Er war Sí, er war unbeugsam. Knien würde er nicht grundlos.
    „Ich bin nicht vom Weg abgekommen“, sagte er böse. „Ich habe mich weiterentwickelt. Die Menschen haben ein Wort dafür. Evolution. Ich achte euch, die ihr so alt seid. Ihr mögt sein, was ihr seid, Gottheiten, Urkraft, Geist, Ursprung, Sí, Fey, Daoine-maithe, die lebende Erde selbst, und ich bin, was ich bin.“
    „Ein Zerstörer“, schalt eine alte Frauenstimme, und weniger als einen Atemzug lang vermeinte er, ein runzliges, strenges Gesicht zu sehen, ein Antlitz voller Unwillen.
    „Ein Menschenmörder“, sagte eine fürsorgliche Stimme voller Besorgnis.
    „Ein Verführer der Unschuld“, kam von den vollkommenen Lippen eines hübschen jungen Mädchens.
    Sie waren so schnell fort, daß er sie mit den Augen kaum hatte wahrnehmen können. Gleichwohl kannte er sie. Die Ewigen Frauen, die Lebensbewahrerinnen – Göttinnen nach der gleichen menschlichen Definition, die ihn zur Bestie stempelte. Doch Definitionen waren die Domäne der Menschen. Er und die Kräfte um ihn herum hatten keinen Bedarf an Definitionen, sie existierten schlichtweg. Die Drei waren allerorten, und doch waren sie allenthalben anders. Hier im Gebirge nannten die Einheimischen sie die „Saligen“.

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