Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
McMullen. Hastige Bewegungen vermied er tunlichst. Dem schießwütigen Bastard würde er keinen Grund geben, auf ihn zu feuern. Er drehte McMullen um und berührte sein Gesicht mit den Händen. Er war ohne Bewußtsein, und seine Haut fühlte sich klamm an. Wieder hörte er ein Flüstern, dann die irische Stimme.
„Die Taschen, den Anhänger, Fairchild. Ich möchte es nicht wiederholen müssen.“
Er kramte McMullens Besitztümer hervor. Schnupftuch, Taschenuhr, Bleistift, Notizbüchlein und ein Brief. Wenn das Ian McMullens Brief sein sollte, würden diese Leute wissen, daß der Junge sie auf eine Geheimwaffe hingewiesen hatte, die er im Gebirge suchte. Warum trug McMullen Briefe mit sich herum? Immer wieder offenbarte sich, wie nachlässig sie gewesen waren. Sie hatten nicht gut geplant, einen Fehler nach dem anderen gemacht.
Delacroix war übelgelaunt. Sein Zorn richtete sich gegen die unsichtbaren Feinde, die ihn erwischt hatten, gegen den Mann, der Corrisandes Bild zerstört hatte, doch vor allem gegen ihn selbst, weil er ein solcher Tor gewesen war. Bei einem offiziellen Auftrag hätte er nie so viele Fehler gemacht.
Doch diesmal war es anders gewesen. Er blickte zu Leutnant von Görenczy. Die grindigen Kratzer in dessen Gesicht wirkten dunkel gegen seine Blässe. Sein sonst so fescher Zwirbelschnurrbart hing lasch herunter. Seine Miene war nichtssagend.
Doch er stand wie eine Eins, zu stolz, seinen Knien nachzugeben. Bei den Chevaulegers starb man nur im Sitzen, wenn man ein Pferd unter sich hatte.
„Helfen Sie Ihrem Freund, Fairchild. Er sieht zerschlagen aus, und entkräftete Menschen tun dumme Dinge. Leeren Sie seine Taschen und prüfen Sie, ob er ein Schutzamulett trägt.“
Delacroix gehorchte. Das Häufchen privater Besitztümer wuchs an. Noch ein Schnupftuch, ein Gedichtband, zwei Tuben mit Farbe, noch ein Silberanhänger und österreichische Papiere, die Udolf als Luitpold Grossauer auswiesen. Spannend.
In diesem Augenblick schwankte Herr Grossauer ein wenig, fing sich jedoch sofort. Wieder war Geflüster in der Dunkelheit zu hören.
„Du liebe Zeit“, sagte die Stimme aus dem Schatten. „Was für eine Zwangslage. Eine schwierige Entscheidung. Wen von den beiden werden Sie mitnehmen?“
„Wohin?“ fragte Delacroix.
„Wir werden Ihnen unsere Gastfreundschaft angedeihen lassen. Sie waren doch ohnedies unterwegs zu uns, nicht wahr, Fairchild? Manche Wünsche gehen in Erfüllung. Also tragen Sie Ihren Freund oder lassen Sie‘s. Wer nicht mitkann, wird erschossen. Eventuell braucht es ja nicht alle drei von Ihnen, um ein wenig Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Also wählen Sie! Freuen Sie sich über Ihre Macht. Macht über Leben und Tod. Gehen Sie klug damit um.“
„Herr Grossauer, ich fürchte, Sie werden ohne meine Hilfe auskommen müssen“, sagte Delacroix. „Ich muß unseren Freund tragen. Ich werde Ihnen helfen, wo es geht. Aber ich schätze, Sie sollten nicht zurückbleiben.“
Von Görenczy nickte, reckte das Kinn unbeugsam und stur nach vorn. Mit Entschlossenheit schlug er seine Schlacht gegen Ermattung und Schwäche. Guter Mann.
Delacroix bückte sich und hob McMullen auf. Er hob den Schotten auf seine rechte Schulter und hielt sich die Linke frei, um gegebenenfalls Udolf zu helfen. Dabei war er durchaus sicher, daß er keine zwei ausgewachsenen Männer würde tragen können. Zwar war er durchtrainiert und stark, doch dies würde auch ihn überfordern. Der Lichtkreis begann sich zu bewegen.
„Los!“ befahl die Stimme. „Bleiben Sie im Zentrum des Kreises. Wir gehen jetzt zum Kammersee. Wir werden immer direkt hinter Ihnen sein. Also versuchen Sie keine Tricks!“
Tricks. Delacroix‘ Gedanken rasten. Er keuchte unter der Last, die er trug, und fragte sich, welche Chance zur Flucht er hatte.
Hinter ihm konnte er hören, wie jemand ihre Besitztümer durchging. Verdammter Brief.
Nur über eins war er froh: Corrisande war nicht in der Nähe. Sie war sicher in Ischl. Der schreckliche Alptraum, den er in der Nacht vor seiner Abreise über ihr Schicksal gehabt hatte, würde nicht wahr werden.
Kapitel 22
Graf Arpad hörte von Orvens Stimme. „Vielleicht sind sie ins Tal geritten, und das hier ist nur ein Ablenkungsmanöver. Warum teilen wir uns nicht auf?“
„Danke, Meyer. Ich bin in der Lage, eigene Entscheidungen zu fällen. Wir teilen uns nicht auf. Drei Leute reichen nicht aus, ihn zu fangen. Wir gehen hier hoch.“
Der Vampir stieg unentwegt weiter. Die
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