Salzträume 2: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
drei Männer durch die Nacht ritten. Immerhin hatte McMullen versucht, irgendwas Magisches damit zu tun.
Was ihn allerdings mehr schmerzte, war nicht die Wunde.
Als McMullen erklärt hatte, jemand wäre im Haus gestorben, ohne daß darin ein Kampf stattfand, war er voller Entsetzen losgerannt. Ein Todesschuß ohne Kampf – das konnte nur eins bedeuten: Selbstmord.
Das Mädchen würde es doch nicht sein? So dumm war sie doch nicht? Sie konnte sich doch nicht das Leben genommen haben, weil die Welt so war, wie sie war, und sie ein Dienstbote war und er ein Offizier, Sohn einer angesehenen Familie? Was hatte sie denn erwartet?
Vermutlich hatte sie gar nicht drüber nachgedacht. Keiner von ihnen hatte viel nachgedacht und nur das Schlimmste erwartet. In einer Flut von Unbill und Gefahr hatten sie einander gefunden und sich aneinander festgehalten.
Er hatte sie nicht einmal verführt. Wirklich nicht. Er hatte sie zu nichts gezwungen, und Versprechungen hatte er ihr auch nicht gemacht. Versprechungen machte er nie. Sie konnte sich doch nicht so hoffnungslos in ihn verliebt haben, daß sie glaubte, ein Leben ohne ihn hätte keinen Sinn mehr? Daß sie ohne ihn nicht mehr leben wollte? Dienstboten wußten, wo sie hingehörten. Manche Arbeitgeber nutzten ihr Abhängigkeitsverhältnis aus und taten mit ihnen, was sie wollten, andere behandelten sie besser. Delacroix hatte sich offenbar nicht an dem schönen Mädchen in seinem Haushalt vergriffen.
Eine Bedienstete konnte nicht erwarten, daß eine Nacht mit einem besseren Herren sie zu dessen Braut küren würde. Sie wußten es besser. Zumindest sollten sie das.
Marie-Jeannette wußte es mit Gewißheit besser. Sie war ein kluges Mädchen, und obgleich sie noch Jungfrau gewesen war, hatte sie doch sehr genau gewußt, wie man mit einer solchen Situation umging. Gewehrt hatte sie sich auch nicht. Nicht, daß er sie mit Gewalt genommen hätte. Das tat er nie. Hatte er nicht nötig.
Verdammt. Er hatte nicht gewollt, daß ihr etwas geschah. Jedenfalls nicht das.
Sie rannten den Korridor entlang und rissen Türen auf. Im vierten Raum fanden sie die Leiche.
„Du lieber Himmel!“ rief Asko betroffen.
Das halbe Gesicht war explodiert, und Blut und graues Gewebe hatten die Wand hinter der reglosen Gestalt getroffen, deren Kopf beziehungsweise was davon übrig war, auf den Tisch vor ihr gefallen war. Ein Mann.
„Gott sei Dank“, murmelte Udolf.
„Gott sei Dank?“ fragte Asko ungläubig mit hochgezogenen Augenbrauen. „Kennst du diesen Mann?“
„Leutnant Arnberg. Er war unsere Eskorte auf dem Weg von Ischl und hat uns an die Verschwörer verraten. Er ist der jüngere Bruder des Adjutanten Ihrer Majestät, soweit ich weiß. Sie haben die gleichen Eltern, aber wohl nicht die gleichen politischen Ansichten.
„Er wurde Euch von Ihrer Majestät persönlich mitgegeben – und hat euch verraten?“ Asko klang schockiert. Moralische Entrüstung war sein größtes Talent. In einer rundum unmoralischen Welt gab ihm das immer etwas zu tun, dachte Udolf ein wenig übellaunig.
„Genau das hat er getan, und in seiner Situation hätte ich vermutlich auch die Konsequenzen gezogen und mir die Rübe weggepustet. Ich hatte ihn ganz vergessen.“
Die Entrüstung wandte sich nun gegen Udolf. „Hast du sonst noch etwas Wichtiges vergessen?“
„Du lieber Himmel, Asko, erspar mir deinen Sarkasmus“, zischte Udolf. „Ich hatte ein paar wirklich schlechte Tage. Wochen, beinahe. Er ist tot, na und? Ist vermutlich wesentlich besser für ihn, als wegen Hochverrats vor ein Militärgericht gestellt und gehenkt zu werden. Besser für ihn und besser für seine ganze Familie. Wenn sie in diesem Land halbwegs vernünftig sind – was ich inzwischen allerdings bezweifle –, werden sie in seinem Nachruf schreiben, daß er ehrenvoll im Kampf gefallen ist, als er höchst tollkühn und selbstlos Gräfin Ferenczy verteidigte. Das wäre das beste. Und jetzt laß uns losgehen. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.“
Er wollte sich zum Gehen wenden, doch sein Freund, der noch konsterniert auf die Szene starrte, stand im Weg.
„Du hast gedacht, sie wäre es, nicht wahr?“ Wen er meinte, mußte er nicht erwähnen.
„Sie war es aber nicht.“ Und darüber reden wollte er auch nicht. Schon gar nicht mit Asko. Mit niemandem. Aber keinesfalls mit Asko, der ein so schrecklicher Moralapostel war. Asko dachte immer, er verstünde, was vor sich ging, doch im Grunde begriff er nie etwas. Dinge, die
Weitere Kostenlose Bücher