Sam Aus Dem Meer
Badeanzug und ein T-Shirt, das sie immer im Rucksack hatte – für alle Fälle. Von Sams Sachen nahm sie etwas, das verdächtig nach einer Decke aussah, und wickelte sich darin ein. Sie ließ sich am Ufer des Sees nieder.
„Ist dir jetzt wärmer?“, fragte Sam.
„Ja ... ich glaube, ich muss das noch mal sehen. Das ist echt irre … und ich hab gedacht, du bist aus irgendeiner Sekte oder so …“
„Was ist denn eine Sekte?“, fragte er.
Sie griff nach der Taschenlampe und schüttelte sie. Sie drückte auf den Knopf und das Licht ging wieder an. Laine leuchtete ins Wasser. Sam bewegte seine Fluke sachte unter der Oberfläche auf und ab. Sie konnte sogar eine Rückenflosse erkennen. Ab der Taille lief das Silberblau sanft aus, und die Haut an seinem Oberkörper wirkte menschlich, wenn auch sehr hell.
„Wenn ich’s nicht sehen würde, könnte ich’s nicht glauben. Diese Schnitte an deinem Hals … das sind Kiemen, oder?“
„Keine Ahnung, wie das Wort dafür heißt. Kann sein“, sagte Sam. Er hob die Fluke aus dem Wasser und ließ ein paar Tropfen auf die Oberfläche regnen.
„Und wie funktioniert das? Kannst du das hin und her umstellen? Im Moment atmest du doch ganz normal?“
„Ja. Wenn ich unter Wasser bin, lasse ich das Wasser nur hier oben durch fließen.“ Er zeigte auf seinen Hals. „An der Luft atme ich dann hier in die Brust.“
„Wow … unglaublich. Warum versteckst du dich hier und nicht im Meer?“, fragte sie.
„Ich wollte Menschen sehen und ihre Sprache hören. Ich gehe an den Strand und beobachte sie, belausche sie und lerne die Sprache. Und ich sammele Sachen, die sie am Strand vergessen oder die aus ihren Booten runterfallen. Ich hab schon ganz viel.“ Er nickte zu dem Haufen in der Ecke. „Hier drin unter dem Felsen habe ich nicht damit gerechnet, gefunden zu werden. Es gibt keine Schiffe und Netze, keine Taucher. Niemand interessiert sich für die Höhle. Und wenn tagsüber Menschen hierher kommen, sehen sie mich mit Beinen, gehen meistens gleich wieder und sagen ‚Entschuldigung’. Bisher war es einfach.“
„Aber es hat schon mal jemand einen von … deinen Leuten gesehen? Ich bin doch sicher nicht die Erste“, sagte Laine.
„Nein, natürlich bist du das nicht. Es kommt vor. Sehr selten zwar, denn wir spüren, wenn man sich uns im Wasser nähert und weichen aus. Wenn ich noch ein bisschen älter bin, dann merke ich das sogar im Schlaf, wenn jemand kommt. Aber trotzdem kommt es vor, dass wir gesehen werden“, sagte Sam.
„Wurde schon mal einer von euch eingefangen?“, fragte Laine.
„Ich weiß nicht“, sagte Sam. „Ich habe nie so was gehört. Die meisten von uns kommen niemals zur Oberfläche.“
„Und warum du? Das ist doch gefährlich für dich. Warum bleibst du nicht in Sicherheit unter Wasser?“
Sam senkte den Blick und schwieg. Laine sah ihn nachdenklich an. Wahrscheinlich gab es da etwas, was er nicht erzählen wollte.
Vorsichtig sagte sie: „Sam, es ist wirklich gefährlich für dich hier. Wenn Menschen dich entdecken, sperren sie dich wahrscheinlich ein.“
Sam sah auf. „Warum tun sie das? Ich hab doch gar nichts Böses gemacht.“
„Das hat nichts mit böse sein zu tun. Das ist schwierig zu erklären, aber du kannst mir glauben, dass sie es tun werden.“
„Tun die mir dann weh?“, fragte Sam.
„Wahrscheinlich tun sie das, ja. Du musst wirklich aufpassen, dass niemand außer mir dich jemals sieht. Was macht ihr denn, wenn euch doch mal ein Mensch im Wasser begegnet?“
Sam sah sie ernst an. „Meistens … ertränken sie den Menschen dann.“
Laine sog die Luft ein und kroch panikartig ein paar Meter rückwärts. Im Schein ihrer Taschenlampe sah sie Sams besorgtes Gesicht.
„Laine, ich hab doch gesagt, ich tu dir nichts. Ich hab dich aus dem Wasser gelassen, oder nicht? Bitte geh nicht weg.“
Laine zitterte. „Ihr bringt Menschen um. Und die haben euch auch nichts getan!“
„Ihr bringt Fische, Delphine, Wale und Haie um. Haben die euch was getan? Ihr bringt das Meer um. Das sehe ich ständig“, konterte Sam.
„Und warum tut ihr das?“, fragte Laine aufgebracht.
Sam wirkte etwas unsicher. „Ich … ich weiß nicht. Wir tun das alle. Warum tötet ihr denn die Tiere?“
Laine fiel keine gute Erklärung ein.
„Und warum hast du mich aus dem Wasser gelassen? Ich habe dich auch gesehen. Du hättest mich auch ertränken können.“
„Ich weiß“, sagte Sam. „Ich habe nur ganz kurz daran gedacht. Es ist wie ein
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