Sam Aus Dem Meer
gehen Sie damit um?“, fragte Bill und wunderte sich ein bisschen über sich selbst.
„Gute Frage. Ich mag ihn. Er ist ein faszinierendes Lebewesen und einzigartig natürlich, aber Sentimentalität ist unangebracht in diesem Fall. Wir tun, was wir tun müssen. Das Problem ist, dass er die Notwendigkeit dieser Sache nicht einsieht. Ist wahrscheinlich für so ein in Freiheit lebendes Geschöpf schwer zu verstehen. Er kennt eben nur unendliche Weiten und kann schwimmen, wohin er will. Hier ist er eingeschränkt und es gibt nichts, was ihm Freude bereitet. Hab ich dir ja gleich gesagt, dass das ein Problem wird. Ich hoffe natürlich, dass er uns noch eine Weile erhalten bleibt.“
„Ich sehe mal nach ihm“, sagte Bill, stand auf und ging hinüber in den anderen Raum. Er schaute in die Metallwanne.
Sam schlief tatsächlich. Seine Schwanzflosse bewegte sich wie mechanisch hin und her. Wahrscheinlich fächelte er sich so sauerstoffreicheres Wasser zu.
… turn your light on my way through memory lane … tönte es aus den Lautsprechern. Sam zuckte kurz im Schlaf.
Memorylane. Er hat “Laine” verstanden, dachte Bill. Mein Gott.
„Es geht ihr schlecht, Sam“, sagte Bill leise.
… what else is worth dreaming of …
Gegen zehn Uhr abends glaubte Bill langsam, sämtliche Al Bowlly Songs auswendig zu können. Er hatte nur noch die Wahl, den alten Knaben zu mögen oder am Rad zu drehen. Er fühlte sich ziemlich müde und beschloss, ganz gegen seine Gewohnheit, früh ins Bett zu gehen.
Abernathy saß noch über seinen Sam-Utensilien und wertete irgendwelche Daten aus.
Der Alte ist wie besessen, dachte Bill. Abernathy war sicher seit achtzehn Stunden auf den Beinen.
Bill zog sich die Decke über den Kopf, um Al nicht zu dicht ranzulassen. Trotz geschlossener Tür klang die Musik noch etwas zu ihm durch. Bill seufzte und schloss die Augen. Laine hatte so traurig ausgesehen. Und er konnte nichts dagegen tun.
Oder? Nein, der Karren war im Dreck, und da mussten sie jetzt alle durch. Laine inklusive. Warum freundete sie sich auch nicht mit einem normalen Jungen an? Er wäre jederzeit bereit gewesen, mit ihr auszugehen.
Klar, und das weiß sie ja auch, dass der Freund von Stacey an ihr Interesse hat, dachte er. Bill drückte sich die Decke auf die Ohren und seufzte wieder. Er grübelte noch ein wenig, dann schlief er ein.
Als Bill am nächsten Tag aufstand, stellte er zufrieden fest, dass Abernathy die Musik abgestellt hatte. Er schlüpfte in seine Klamotten und hielt inne. Ein merkwürdiges Geräusch klang durch das Schwimmbad. Bill ging in den Raum mit der Metallwanne. Abernathy befand sich nicht darin. Er konnte aber seine Stimme von nebenan hören. Offensichtlich stand er im Gang zu den Duschen und telefonierte. Sam saß in der Wanne, hatte den Kopf auf den Metallrand gelegt und starrte ins Leere. Tränen liefen aus seinen Augen. Aus dem Lautsprecher kamen die Geräusche, die Bill jetzt sofort erkannte: Walgesänge.
Die sanften Töne erfüllten den Raum. Sam schien Bill nicht wahrzunehmen.
Er antwortete den Walen, die nur vom Tonband sangen, mit leisen, traurigen Sirr-Lauten.
Bill drehte sich um und ging hinaus.
Abernathy kam wenige Sekunden später herein. Er telefonierte immer noch.
„Nein, nein, mach es bitte so, wie ich sage. Auch wenn dir die DNA-Proben verunreinigt vorkommen sollten … bitte geh damit um, als wären sie es nicht. Es ist ein Experiment. Nein … ist doch egal, wo ich das herhabe. Ich habe nur so eine Idee, und ich möchte etwas ausprobieren. Sag mir einfach, welches Lebewesen das sein könnte, wenn … ja … ja … ich schick’s dir heute noch rüber. Danke Orry, das ist perfekt. Ja, bis dann.“
Abernathy legte das Handy wieder auf das Regal neben der Tür. Dann warf er einen Blick auf Sam.
„Sam! Oh, mein Gott, Junge!“ Er klickte die Datei weg.
„Ich wollte es dir erst vorspielen, wenn du nicht allein bist. Das erinnert dich natürlich an dein Zuhause. Wie ungeschickt von mir.“
Sam antwortete nicht.
„Kann ich dir irgendwas Gutes tun, Sam?“
Sam wischte sich über die Augen und hob den Kopf. „Ich möchte, dass du mich heute in Ruhe lässt. Ich bin müde.“
Abernathy lächelte.
„Das geht leider nicht. Heute ist ein wichtiger Tag.“
„Ich bin erschöpft. Ich möchte schlafen. Wenn du mich heute in Ruhe lässt, werde ich auch etwas essen“, sagte Sam.
„Ach so. Verhandeln wir jetzt? Ich gebe dir drei Stunden. Wenn du etwas isst.“
„Wie lange sind
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