Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
verwandelt?
Wenn er Riddle nur dazu kriegen könnte, sich ein bisschen mehr zu konzentrieren.
Oder besser gesagt, sich auf das zu konzentrieren, was Clarence wichtig war. Sein Telefonbuch zu entsorgen, half da auch nicht weiter. Vor zwei Jahren hatte er das mal versucht, mit dem Ergebnis, dass das Kind monatelang – so kam es ihm jedenfalls vor – geflennt hatte. Den Fehler würde er nicht noch mal machen. Dem Jungen dabei zuzuhören, wie er nach Luft rang, und zu sehen, wie Tränen und Rotz dabei sein Hemd durchnässten, war ein Albtraum.
Jetzt wollte er erst mal dem Älteren ein wenig hinterherspionieren und dann nachsehen, was Riddle nebenan so trieb. Das Schloss der Badtür war kaputt, also gab es da kein Hindernis. Clarence öffnete behutsam die Tür. Sam stand hinter dem stockigen gräulichen Duschvorhang und sah und hörte nichts von ihm. Gut so.
Schweigend gratulierte Clarence sich zu seiner Könnerschaft. Er hatte es immer noch drauf. Rasch ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Sams Sachen lagen zusammengefaltet auf dem heruntergeklappten Toilettensitz, was Clarence ungewöhnlich vorkam. Normalerweise warf er sie in einem Haufen auf den Boden.
Der Junge hatte offensichtlich etwas zu verbergen.
Clarence streckte nur den Arm aus, schnappte sich mit einer Hand den ganzen Kleiderhaufen und schon war er zur Tür hinaus.
Er wusste auf der Stelle, dass sich irgendetwas in den Hosentaschen befand, weil sie ihm schwerer vorkamen als normal, griff in die vordere Tasche und zog ein Handy hervor.
Was zum Teufel wollte der Junge mit einem Handy?
Ob er es gestohlen hatte? Fing er endlich an, auch mal seinen Beitrag zu leisten?
Clarence sah sich das Handy genauer an. Es war kein sehr teures Telefon. Und die Dinger waren sowieso schwer zu verscherbeln. Er würde dem Jungen erklären, dass es sich lohnen musste, wenn man sich schon die Mühe machte, ein parkendes Auto zu knacken oder die Sporttasche von jemandem mitgehen zu lassen.
Clarence wollte das Handy gerade zur Seite legen, als er sah, dass eine SMS angezeigt wurde. Er drückte den Knopf und wartete ab, bis die Nachricht erschien. Sie lautete:
Ich muss dringend mit dir reden.
Clarence überlegte, ob Sam vielleicht einem Mädchen die Handtasche geklaut hatte. So was stand immer in Nachrichten von Mädchen. Ich muss dringend – Weibergeschwätz.
Clarence sah sich die vorhergehende SMS an:
Willst du mit Riddle zu uns zum Essen kommen?
Clarence erstarrte. Sein Blick fiel jetzt auf den Namen über der SMS. Emily.
Willst du mit Riddle zu uns zum Essen kommen?
Was zum Teufel…?
Clarence sah auf seine Hand hinunter. Adrenalin flutete seinen Körper wie Tequila, der in einen leeren Magen strömt.
Denk rasch nach.
Die Stimmen sprachen jetzt zu ihm.
Leg es zurück.
Clarence steckte das Handy wieder zurück in die Hosentasche, fasste nach dem Türgriff, drehte ihn lautlos um und vier Sekunden später lag der Kleiderhaufen wieder auf dem Toilettensitz. Dann schloss er – Fachmann ist Fachmann – im gleichen Moment die Tür, in dem das Wasser abgestellt wurde.
Perfekt.
Er war dem durchtriebenen Verräter knapp entgangen.
Mit zorngerötetem Gesicht verließ Clarence das halb verfallene Haus durch die Hintertür und ging zu seinem Lkw. Er sperrte auf, stieg ein und zündete sich eine Zigarette an. Er musste sich das alles erst einmal zusammenreimen.
Diese beiden Nichtsnutze, bei denen man bloß nicht in Gefühlsduseleien verfallen durfte, hatten Geheimnisse vor ihm. Sie waren Lügner.
Clarence hasste Lügner.
Es hätte ihm doch auffallen müssen, dass es bei dieser Lügerei um ein Mädchen ging.
Die beiden waren nämlich jetzt sehr oft sehr lang verschwunden. Aber sie waren nicht etwa unterwegs, um irgendetwas abzugreifen, was er ja gern gesehen hätte. Sie waren unterwegs, um jemanden zu treffen.
Er hätte schon erste Anzeichen registrieren müssen. Wann hatte sich bei den beiden was geändert?
Angefangen hatte alles mit den neuen Haarschnitten. Kurz darauf gefolgt von sauberen Klamotten.
Folglich hatte Sam ein Mädchen kennengelernt. Und das Mädchen musste Geld haben, denn sie hatte ihm ein Handy geschenkt.
Je länger er darüber nachdachte, desto mehr kochte er vor Wut.
Im Grunde sollte er sich das Gewehr hinten aus dem Lkw holen und die beiden damit zu Tode erschrecken. Er griff hinter sich und langte danach. Eine Weile hielt er es in den Händen und spürte, wie sein Herzschlag schneller wurde. Er würde sie schon merken
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