SAM
Versagens. Ich schnappe nach Luft, zum einen, weil ich offensichtlich in der Lage bin seine Emotionen wahrzunehmen, zum anderen, weil ich spüre, wie sehr der Tod seines Freundes und dessen Frau ihn noch immer berühren.
„Du machst dich verantwortlich dafür, was geschehen ist? Sind deine Schuldgefühle der Grund, warum du dich um Francesca und Luca nach dem Tod ihrer Eltern gekümmert hast?“ Er hat die Ellenbogen auf seine Knie gestützt und starrt ins Leere.
„Ich hätte sie retten können. Ich hätte das alles verhindern können.“ Seine Stimme ist so leise, dass ich trotz meiner neu erworbenen Fähigkeiten Mühe habe ihn zu verstehen.
„Wie?“, hauche ich leise und mein Puls hat deutlich an Schlagzahl zu genommen.
„Ich hätte den Padre ernst nehmen müssen, aber in meiner Überheblichkeit, meinem Stolz und meiner Arroganz habe ich die Gefahr, die von ihm ausging nicht erkannt. Für mich war er nur ein sterblicher Geistlicher…“
„Aber deswegen bist du doch noch lange nicht Schuld an dem Tod der Di Camarossos.“
Er dreht den Kopf und sieht mich an. Seine Gesichtszüge sind verhärtet und seine Augen sind dunkel. Ein Gefühl von Angst packt mich plötzlich, das ich noch nie derart intensiv wahrgenommen habe. Hat Alex Angst? Er, der mächtige Vampir, kann so etwas wie Angst empfinden?
„Bernardo und Marie waren so wie wir beide, Samantha. Die Geschichte wiederholt sich. Wieder wurden zwei Menschen, die unterschiedlicher Natur sind und die sich lieben, verraten. Diesmal war es jemand aus den Reihen der Vampire: Jonathan. Damals war es der Padre. Und abermals werden wir des Hochverrats bezichtigt. Hätte ich damals früher erkannt, was für eine gewissenlose und machtgierige Kreatur der Hölle Balthasar war, wäre ich nicht so sehr mit meinem eigenen Machtansprüchen beschäftigt gewesen, hätte ich vielleicht verhindern können, was Bernardo und Marie zugestoßen ist. Aber diesmal, Samantha, werde ich es nicht zulassen, dass Balthasar gewinnt. Meine Kinder werden nicht zusehen, wie ihre Eltern zum Tode verurteilt werden. Ich werde Balthasar vernichten, ein für alle Mal.“ Die letzten Sätze hat er mit derart eisiger Entschlossenheit gesagt, dass es mich unwillkürlich fröstelt. Was ist jedoch, wenn Margarete recht behält? Was ist, wenn es bereits beschlossenen Sache ist, uns und vielleicht auch unsere Kinder zu töten. Ich weigere mich meine Gedanken weiter diesen Weg gehen zu lassen und lege meine Hand auf seinen Arm: „Wir werden nicht so enden wir Bernardo und Marie. Ich weiß es. Ich vertraue dir und unserer Liebe.“ Ich habe nicht den geringsten Schimmer, woher ich diesen Optimismus nehme, Alex jedoch scheint mir zu glauben. Er schenkt mir ein winziges Lächeln, das aber nicht seine Augen erreicht. Dann steht er unvermittelt auf und geht zu einer Kommode, aus der er einen Stapel Papiere nimmt. Sekunden später sitzt er wieder neben mir. Ich spüre deutlich, dass ihm das, was er mir gleich sagen wird, nicht leicht fällt. Allmählich wird mir bewusst, wie anstrengend und belastend es sein kann, die Gefühle eines anderen Menschen wahrzunehmen.
„Ich möchte, dass du diese Papiere hier unterschreibst“, sagt er ernst und breitet auf dem Tisch vor mir eine Anzahl verschiedenster Dokumente aus.
„Was ist das?“
„Mein Testament.“ Ich springe auf und reiße dabei einige Blätter herunter.
„Nein! Nein! Ich werde gar nichts unterschreiben! Weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst?“, schleudere ich ihm aufgebracht entgegen. Er sieht zu mir auf und erklärt mir mit ruhiger Stimme: „Sam, ich möchte wissen, dass es dir und vielleicht auch unseren Kindern einmal an nichts fehlen wird. Sollte mir etwas zustoßen, dann will ich sicher sein, dass du versorgt bist. Das ist auch in eurer sterblichen Welt ein ganz normales Procedere, wenn man verheiratet ist.“ Ich laufe vor dem Couchtisch auf und ab und bebe innerlich vor Aufregung. Mag sein, dass es so ist, wie er sagt, aber trotzdem will ich mich nicht auch nur eine Sekunde damit befassen, dass Alex vielleicht doch sterben kann.
„Nein. Ich bin mit dir nach dem Alten Ritual verbunden. Wenn du stirbst, dann sterbe ich auch, so hast du es mir erklärt. So ist es doch, oder?“ Meine Stimme klingt zu laut und eine Spur zu schrill. Alexander ist inzwischen aufgestanden und versucht mich zu beruhigen.
„Ja, so in der Art funktioniert es.“
„Was passiert mit mir, wenn ich nicht mehr regelmäßig von deinem Blut
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