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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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seinen Leuten tatsächlich nichts zu tun haben sollte. Was genau hier oben gespielt wird, wirst du nie richtig begreifen, sagte er sich zum wiederholten Mal, und du mußt es auch nicht. Du mußt nur schneller sein.
    Kaufner machte sich keinerlei Illusionen darüber, was ihn am Ende seines Weges erwartete. Schlimmstenfalls nichts. Kein verstecktes Grab in den Bergen, keine Grabbeigaben – der eine oder andere der Jungs in Samarkand hatte behauptet, daß all das allein in der Phantasie der Paßgänger existiere. Daß der
Leere Berg
tatsächlich nichts weiter als ein leerer Berg sei. Andere hingegen hatten sich gebrüstet, selber dort gewesen zu sein. Entweder sie hatten Kaufner schon für einen der ihren gehalten oder für vollkommen unbedarft; warum sonst hätten sie derart offen über etwas reden dürfen, das zu finden möglicherweise kriegsentscheidend war? Vielleicht war es auch nicht
ihr
Krieg, in der Mehrzahl waren es ja Usbeken, die mit dem Kalifen und der Arabischen Liga nichts direkt zu tun hatten. Vielleicht waren sie letztlich bloß an bewegten Zielen interessiert und der
Leere Berg
so etwas wie ihr bevorzugter Schießplatz. Vielleicht war ihre Offenheit bereits Teil des Vergnügens, der ihnen die Todgeweihten nur desto sicherer vor den Lauf trieb. Vielleicht waren sie bekifft gewesen, wenn sie davon geprahlt hatten, und man konnte nichts darauf geben.
    Immerhin schien der
Leere Berg
in unmittelbarer Nähe von Samarkand zu liegen. Und irgendwo auf, an, neben jenem Berg nicht bloß das Objekt, sondern ein Friedhof. Umgeben von einem weiträumigen Ruinenfeld, der einstigen Stadt, errichtet um all die Gräber der Prinzen, Feldherrn und Notabeln, die sich in der Nähe des großen Eroberers hatten bestatten lassen. Sofern man Kaufner als offensichtlichen Neuling am Lagerfeuer nicht hatte foppen wollen, mußte es eine ansehnliche Stadt gewesen sein, mitten im Gebirge entstanden, um die Pflege der Gräber, die Versorgung der Pilger, den ganzen Kult um die Verstorbenen vor Ort aufrechtzuerhalten. Ob davon auch lediglich ein Bruchteil stimmte oder nicht, ab jetzt galt es, eine Wette gegen den Sultan und einen Wettlauf gegen seine Jungs – samt allen anderen, die rund um den
Leeren Berg
operierten – zu gewinnen.
    Und wieder ein heißer Mittag im August. Der Wind wirbelte fein verdrehte Fahnen aus Sand und Staub über den Berg, Kaufner mußte niesen und dachte an gar nichts, da tauchte vor ihm das Tal auf, das
Tal, in dem nichts ist.
Genau genommen vernahm er zunächst nur das dumpfe Dröhnen, das die Wasser zwischen den eng stehenden Felswänden erzeugten. In dem Moment, da er den Fuß in die Schlucht gesetzt, schwoll es an zum wilden Donnern. War er im vorigen Jahr bloß, ein etwas seltsamer Wanderer, hinter Odina hergegangen, so war er nun Jäger und Gejagter, völlig auf sich allein gestellt. Wie er in die Klamm hineinlauschte! Wie er jeden fallenden Kiesel hörte, wie er jeder aufflatternden Krähe hinterhersah, wie er die Augen überall hatte, um keine der Wegmarken zu übersehen. Er bemühte sich, alles so zu machen, wie es der Junge gemacht hätte, und stellte sich dessen anerkennenden Blick vor, wenn es besonders gut gelang: eine schnelle Schrittfolge, ein sicherer Griff, ein beherzter Tritt.
    Der Pfad fraß sich mit dem Verlauf der Schlucht entschieden in den Westkamm des Hochplateaus hinein. Bald lag das graue Band des Wassers fünfzig, achtzig, hundert Meter unter ihm, herrschte ein beständiges feines Rauschen anstelle des Donnerns. Sobald er mit einem Fuß ausglitt, gab es ein Gepolter, auch wenn es nur winzige Steine waren, die hinabstürzten. Eigentlich war er jetzt in der Falle, die Jungs wußten, daß er diesen Pfad nehmen mußte, es gab keinen anderen. Aber sie wollten ihren Spaß, vielleicht war es ihnen zu einfach, ihm hier schon aufzulauern.
    Wie er den Felsbrocken passierte, den Odina
Der Thron
genannt, wußte er, es waren nur noch wenige hundert Meter zum
Kobrafelsen
und zur Hängebrücke. Deutlich zu hören der Wasserfall, der darunter hinweg ging, von Klippe zu Klippe. Weil der
Thron
einen solch einladenden Schatten warf, beschloß Kaufner, eine späte Mittagspause zu machen. Daraus allerdings wurde nichts. Kaum hatte er den Rucksack abgestreift, ging auf der gegenüberliegenden Wand eine kleine Lawine ab, einige Sekunden Getöse, danach eine Staubwolke, danach eine schartig verwitterte Felswirrnis in völliger Ruhe.
    Überm Gegenhang kreisten die Adler. Doch das taten sie immer, das

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