Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
schließlich abdrehte und über die Brücke zurückging. Das wäre auch Kaufners Weg gewesen, er wagte jedoch nicht, ihm zu folgen. Stand vielmehr da und blickte auf die andere Seite der Schlucht, reglos verfolgend, wie Odina dort das Gepäck des Esels ablud, um es sehr sorgfältig gleich wieder aufzuladen: zuerst die Decke, darauf den Holzsattel, erst zog er den vorderen Gurt, dann den hinteren fest. Der Esel scheute wie jeder Esel, sobald ihm das Seil unterm Schwanzansatz durchgezogen wurde. Kaufner kannte die Griffe gut, die beruhigenden Laute und Worte, wenn der Esel ausbrechen wollte. Gebannt sah er zu, keiner Bewegung fähig, keines Lauts, dabei hätte er Odina doch mit allen Mitteln davon abhalten müssen, die Schlaufen des Seils über den Sattel zu legen, er wußte ja, warum der Junge mit solcher Sorgfalt zu Werke ging! Sobald das erste Gepäckstück auf der linken Seite des Esels saß (offenbar der Rucksack des »Herrn«), zurrte er kraftvoll nach. Rammte sein Knie in den Bauch des Esels, der sich aufgepumpt hatte. Auf die rechte Seite kam Odinas karierte Plastiktasche, auf die Kruppe das Zelt und der Verpflegungssack, wie immer. Überall zog der Junge die Knoten nach, führte ein weiteres Seil unterm Schwanz des Esels hindurch. Zum Abschluß stach er mit einem Ast (den er mit Hingabe überm Feuer zurechtgebogen hatte, wie Kaufner wußte) durch den zentralen Knoten und zurrte ein letztes Mal kräftig nach.
Kaufner schien es, daß der Esel nun etwas schmaler, dafür höher beladen war, damit er sich auf seinem Weg nicht so leicht im Gestrüpp verkeilte. Schon flüsterte ihm Odina ins Ohr, gab ihm einen Klaps, wie er jeden Esel bislang auf den Heimweg geschickt, sofern er bei einem Bauern ein neues Packtier bekommen hatte. Auch dieser trabte klaglos davon und den Weg zurück, den er gerade gegangen, verschwand nach wenigen Sekunden zwischen den Felsblöcken.
Erst als sich Odina umwandte und selber in Bewegung setzte, löste sich Kaufner aus der Erstarrung, schulterte Rucksack und Gewehr, machte sich auf den Weg. An der Hängebrücke trafen die beiden aufeinander, Odina schritt achtlos darüber hinweg, Kaufner trat einen Schritt zur Seite. Verfolgte, wie der Junge exakt zu der Stelle ging, wo dreißig, vierzig Meter unter ihm das Bein seines Herrn aus dem Wasser ragte. Mit Gewalt riß sich Kaufner los, setzte einen Schritt auf die Brücke. Sofort begann sie das Schwingen, sofort merkte er, daß er bei all seinen Wanderungen kein bißchen weniger schwindelfrei geworden. Er versuchte, auf die Bretter zu blicken, die über den beiden Stahlseilen lagen, aber er sah nur die Zwischenräume. Selbst wenn er die Schande auf sich genommen und versucht hätte hinüberzukriechen, der bloße Blick aufs Wasser, wie es einige Meter tiefer durch die Felsbrocken tobte, hätte ihn hinabgezogen.
Ein letzter Blick zurück zu Odina, der sich mittlerweile abgekniet hatte, um sich übers Gesicht zu streichen. Er war auf dem Weg in eine andere Welt und Kaufner schon vollkommen vergessen. Es blieb bloß, so lange am Ufer des Bergbachs weiterzuklettern, bis man eine Möglichkeit zur Querung finden würde.
Sie fand sich einen halben Kilometer aufwärts, wo das Gelände abflachte, zunehmend von Plastiktüten und Flaschen markiert, schließlich in eine regelrechte Abfallhalde übergehend. Doch erst da der Kastenaufbau des Mannschaftstransporters, der als Moschee diente, bereits zur Hälfte zu sehen war, erkannte Kaufner die Stelle wieder. Höchste Zeit, daß er über den Bach kam und verschwand, zum Glück schien man in Samarkand mit Kiffen oder Quälen gerade gut abgelenkt. Kaufner hatte gelernt, die Furten zu erkennen, ihre Abhängigkeit vom Wetter und daß man besser ein kurzes Gebet sprach, bevor man sich ihnen anvertraute. Daß man besser mit Wanderstab hineinging, um den Untergrund vor jedem Schritt abzustochern und sich eine zusätzliche Stütze zu verschaffen. Jetzt mußte es ohne Stock und Gebet gehen. Mit zitternd nach Halt tastenden Schritten arbeitete sich Kaufner auf die andere Seite.
Nun war er drüben. Bergab ging es schneller, weiter unten schimmerte der Pfad in der späten Nachmittagssonne violett auf beiden Seiten der Schlucht. Bald sah man auch den Jungen, nach wie vor saß er am Felsabbruch, die Unterarme auf die gekreuzten Beine gelegt. Seine Handflächen wiesen nach oben, er redete mit seinem Gott. Bald hörte man sein Gebet anschwellen zum Gesang, Kaufner erkannte die Melodie, es war Odinas Lieblingslied. Wie
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