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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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»Und nun ist er tot, hundert Prozent tot!«
    »Es war ein Unfall!« wiederholte Kaufner. »Was ist denn passiert?«
    »Du hast ihn erschossen«, behauptete Odina.
    »Im Gegenteil!« schrie Kaufner: »Verstehst du,
er
wollte mich –« Die Stimme versagte ihm, er mußte sich mit einer Hand am
Thron
festhalten. Kaum kamen ihm die Worte wieder, forderte er Odina auf, den Lauf seines Gewehrs anzufassen, der sei kalt.
    Natürlich sei er das mittlerweile, winkte der Junge ab, nach wie vor hatte er diese sanfte Art zu sprechen, wie konnte er nur dermaßen ruhig bleiben. »Ob Unfall oder nicht, er ist tot. Ich habe ihn nicht sicher durchs Gebirge gebracht.«
    »Wer war er überhaupt?« Kaufner hätte Odina so gern umarmt, er war so froh, ihn wiederzusehen. Nach wie vor hatte er diese gepflegten Hände mit den hell leuchtenden Nagelbetten, die so gut zu seinen leuchtenden Zähnen paßten. Trug dieselben Gummischlappen, dasselbe grobkarierte Hemd mit den langen Ärmeln. Und tat noch immer, als verstünde er nicht, wenn ihm eine Frage nicht paßte. »Wer war er?«
    Er sei derjenige gewesen, den er in diesem Sommer durch die Berge geführt, wich der Junge aus, »einer wie du«. Sein »Herr« habe unbedingt vor Einbruch des Winters ins Serafschantal kommen wollen und hinüber ins Fangebirge. Nur deshalb hätten sie den verbotenen Weg genommen, nur deshalb.
    Warum denn ausgerechnet ins Fangebirge? erhitzte sich Kaufner, das sei doch völlig sinnlos, da sei ja nichts!
    Woher er das denn wisse, wehrte sich Odina für seinen »Herrn«, da sei genausoviel und genausowenig wie hier.
    Noch immer sprach der Junge nicht offen mit Kaufner, würde es niemals tun. Am liebsten hätte er das Gespräch beendet, man sah es ihm an. Aber was hätte er dann als nächstes getan? Sein »Herr« lag an einer Stelle der Schlucht, wohin selbst ein Odina niemals gelangen konnte, er war nicht zu bergen. Wollte er nach Samarkand zurückkehren, um von dem Vorfall zu berichten? Anscheinend wußte er eine Möglichkeit, trotz der Russen auf direktem Wege dorthin zu gelangen. Oder würde er gar ins
andere
Samarkand gehen, um …
    »Arbeitest du für den Sultan, Odina?«
    »Der Sultan ist ein lebendiges Stück Fleisch mit zwei Augen!« Odinas Worte kamen ohne jede Verzögerung, seine Verachtung klang echt.
    »Arbeitest du für die
Faust Gottes

    »Ich habe für den gearbeitet, der da unten liegt!« Entweder war der Junge sehr raffiniert oder sehr ehrlich: »So, wie ich für dich gearbeitet habe im letzten Jahr.« – »Und ich habe nicht gut gearbeitet«, fügte er nach einer Pause an und zeigte erneut auf das Bein, das aus den Wassern ragte: »Er ist mein Versagen als Führer.«
    »Es war ein Unfall«, beschwor ihn Kaufner. Was Odina überhaupt damit zu tun, was er sich denn zuschulden habe kommen lassen?
    Er hätte selber vorausgehen müssen! Wenigstens hier, im
Tal, in dem nichts ist.
Das Gesetz der Berge besage …
    Er möge ihm jetzt nicht mit diesem grotesken Gesetz kommen und daß ihm seine Ehre mehr gelte als sein Leben. »Er war nicht dein Gast!« Kaufner erkannte erst in der nämlichen Sekunde, warum der Junge keinerlei Anstalten machte, umzukehren oder überhaupt in irgendeiner Weise den Ort seines Versagens zu verlassen: »Und bloß weil er von der Brücke gefallen ist, mußt du es doch nicht sühnen!«
    Davon verstehe er nichts, wehrte Odina ab. Immer noch hatte er diese dunkle Stimme, die sichere Gestik, den ernsthaften Blick, der lang an einem Gesicht haften blieb, ehe er sich löste und weiterglitt, irgendwohin in die Ferne oder nach innen, wer weiß, für Kaufner war es nie zu erkennen gewesen. Von der anderen Seite der Schlucht schrie der Esel, Odina hörte es nicht. »Wir gehen mit unserm Herrn, und wenn wir ihn nicht sicher durchs Gebirge bringen, gehen wir mit ihm auch in den Tod. So will es das Gesetz.«
    Den Satz kannte Kaufner nur allzu gut. Ehrenkodex hin oder her, er war schlichtweg verrückt, mochte man das im Wakhantal oder sonstwo im Pamir auch anders sehen. »Komm mit mir«, bat er Odina unverhohlen, »wir beide zusammen können es schaffen!«
    »Ich war der Diener von dem da«, sagte Odina, ein letztes Mal in die Schlucht hinabweisend. »Und ich gehe mit ihm.« Eine einzige Bitte habe er noch an Kaufner: daß er endlich verschwinde und ihn alleine lasse.

    Damit war alles gesagt, was es zu sagen gab. Der Junge sagte nichts mehr. Kaufner sagte nichts mehr. Schlug den Blick zu Boden, rührte sich nicht vom Fleck. Es war Odina, der

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