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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Verborgenen heute gar nicht mehr zu ihm sprach. Mit jedem Tritt, den er dem Berg abtrotzte, rückte der Grat der
Kirgisenkette
eine Spur deutlicher übern Horizont, nur die Spitzen der
Drei Wesire
waren noch schneebedeckt. Und dann war Kaufner oben: Der Gipfel ein Kegel aus schwarzem Schieferbruch, unglaublich majestätisch das Ende des Geröllfelds markierend. Und doch erst zu erkennen, wenn man an seinem Fuß angelangt war. Da und dort flatterten Stoffetzen im Wind, das war alles.
    Die Würde des Ortes, seine Abgelegenheit, die Schwierigkeit, ihn zu erreichen, ja überhaupt nur von ihm zu vernehmen – ein besseres Versteck hätte es in der Tat kaum geben können! Kaufner fing sofort an, Schieferplatten beiseite zu heben, wollte – ja, was wollte er denn? Sich hinabwühlen, hineinwühlen in das Grab, bis er auf die Reste des Toten und, vor allem, die Grabbeigaben gestoßen wäre? Die Marmorkugel, auf der die Suren des Korans geschrieben? Kurz innehaltend, fragte er sich, ob er das Grab schon einmal besucht oder ob er davon bloß geträumt hatte, einschließlich des gesamten Weges, der zu ihm führte. Aber der schwarz geschichtete Kegel wollte sich nicht als Trugbild offenbaren, ratlos bekratzte Kaufner das Moos auf den Schieferplatten. Das Grab schien seit Jahren, Jahrzehnten unberührt, nichts deutete darauf hin, daß in letzter Zeit Pilger hier gewesen wären. Verfluchter Berg! Legte man das Ohr auf den Fels, hörte man ihn lachen – er hatte ihn in die Irre geführt.
    Es war Mittag, Kaufner hatte den
Leeren Berg
bezwungen und war nur an irgendeinem Heiligengrab angekommen, deren es so viele in diesen Gebirgen gab. Unter der Wucht der Erkenntnis brach er nicht etwa zusammen, knickte allerdings ganz langsam ein, bis er flach auf den Schieferplatten lag. Nun war er nicht etwa am Ende seines Wegs angelangt, sondern … immer noch irgendwo mittendrin, am nordwestlichen Rand des Gottesgebirgs. Er dachte so angestrengt nach, daß er vermeinte, es in seinem Kopf knistern zu hören. Es war aber bloß der Berg, der sich unter der Hitze duckte. Wohin man auch blickte, nirgendwo fand das Auge etwas, woran es eine Hoffnung hätte knüpfen können. Die Landschaft wiederholte sich endlos selbst, bucklige Welt bis hin zum
Kirgisenkamm
, Kaufner vermeinte, jede der Hügelkuppen wiederzuerkennen. Er hatte keine Ahnung, wie es von hier aus noch weitergehen sollte.
    Direkt vor ihm fiel der Berg auf ähnliche Weise ab, wie er in seinem Rücken angestiegen, jedoch eher als Felshang denn als Geröllfeld. Daran anschließend eine weite Senke, in ihrer Mitte ein grünblau schillernder See mit weiß verkrusteten Ufern, umgeben von gelbem Grasland. Erst hinter dem See war ein Pfad zu erkennen, er führte am Fuß der nächsten Bergkette entlang. War das noch Kaufners Weg? Oder nur irgendein Weg? Weit genug von der Grenze entfernt war man hier, hätte man weitergehen wollen, brauchte man vor Bodenminen keine Angst zu haben. Gib’s auf! flüsterte sich Kaufner zu. Er lag auf den schwarzen Schieferplatten des Heiligengrabs, von unten stieg ihm die Hitze der Steine in den Körper und wärmte ihn. Schon fielen ihm die Augen zu.
    Aus schweren Träumen auffahrend, war sein erster Gedanke: Nie darfst du aufhören zu hoffen, versprich es dir! Sein zweiter: Quäl dich! Du hast es nicht anders verdient. Sein dritter: Das Mindeste, was du tun mußt – nachsehen, wohin der Weg hinterm See führt. Kaufner wollte kein kleines Glück, das am Ende eines erfüllten Tages steht, er wollte das große Glück, das am Ende eines Lebens wartet. Und das war hier oben nicht zu bekommen, soviel stand fest. Er mußte weiter. Noch weiter. Also raffte er sich auf und versenkte sich in den Anblick des Abhangs. Schau die Felsen da an, wo sie getreten werden wollen. Wo sie seit Jahrhunderten getreten werden. Und siehe, die Felsen fügten sich seinem Blick, der Hang wurde sein Freund.
    Wie im Traum stieg er bergab, die felsige Flanke des
Leeren Berges
entrollte sich unter ihm als Teppich. Waren das nicht Murmeltiere, die in der Senke auftauchten? So viele Murmeltiere! Man konnte sie mit bloßer Hand fangen, sofern man flink wie Odina war, und mit dem Wanderstab erschlagen, Kaufner hatte öfters zugesehen. Die Senke füllte sich mit immer weiteren Murmeltieren, eine regelrechte Herde, ein Murmeltierwunder. Kaufner verspürte den Drang, die Schönheit des Anblicks und der gesamten Schöpfung zu preisen. Wieder fuhr die Erleuchtung in ihn, sanfter zwar als am gestrigen

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