Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
austreiben würde. Jetzt oder nie. Er winkte sie herbei, um ihr das Halsband umzulegen. Das Band mit dem Wolfszahn, den Timurs großer Urahn auf seinen Kriegszügen getragen und ins Blut seiner Gegner getaucht hatte. Höchst wirkmächtig. Nur nicht bei Nazira. Empört riß sie sich das Band vom Hals, warf einen Blick voll Ekel auf den Zahn, ehe sie ihn zu Boden warf.
Timur biß sich in den Finger, so ratlos und verlegen war er. Nazira trat mit all ihrer Verachtung auf den Zahn, stampfte mit ihren perlenbestickten Pantoffeln darauf herum, als ob er gerade eben erst Blut geschmeckt hätte:
Lieber lasse sie sich in einen Sack stopfen und vom Minarett werfen als mit einem solch geschmacklosen Amulett behängen!
Timur biß sich in den Handballen, so ratlos und verlegen war er. Nazira spuckte auf den Zahn, sie war nahe daran, außer sich zu geraten:
Ob er tatsächlich glaube, daß man einen Mann lieben könne, der einen blutbesudelten, einen
menschen
blutbesudelten Wolfszahn für ein Schmuckstück hielt?
Eine glühende Schönheit in ihrem Zorn. Hinreißend in ihrem Hochmut. Timur, dem in Gegenwart anderer nie das eigene Wollen ins Wanken geriet, angesichts ihrer konnte er sich gerade noch aufrecht im Sattel halten. Mit der gesunden Linken griff er in die Zweige eines Rosenbuschs, umfaßte fest die Stacheln und bekämpfte seine Schmerzen durch andere Schmerzen. Der Große Wolf, der Blitz, das Eisen, vor dem die Welt zitterte, endlich kam ihm eine passende Replik:
Was denn in ihren Augen ein angemessenes Schmuckstück sei? Möge sie nennen, was sie wolle, er werde es ihr verschaffen.
Timur blickte auf den Zahn, wie er mit einem Mal so klein und unbedeutend auf dem Weg lag. Nazira blickte einige Sekunden lang durch Timur hindurch, bis sie in der Ferne fand, was sie in der Nähe gar nicht erst zu suchen brauchte:
Einzig angemessen sei vielleicht … Es gebe eine Marmorkugel, von einem Gefährten des Propheten gefertigt und durch die Zeiten, gehütet und verehrt, bis in ihre Heimat gewandert. Darauf seien wie mit der Schwärze der Iris auf dem Weiß des Augapfels die Suren des Korans geschrieben, obgleich die Kugel kaum größer als eine Weintraube sei. Ein Wunderwerk, das wohl auch am Hals einer Dame seine Pracht entfalten könne. Wenn er es ihr bringe –
»Bei allen Höllenqualen, die ich deinetwegen erlitten«, schwor Timur bereits, »bei meinem gebratenen Herzen! Ich will … Ich werde.«
Nun konnte er den Griff vom Rosenbusch lösen, des Blutes nicht achtend, das ihm von der Hand tropfte. Anstatt den Schwur zu Ende zu formulieren, zu dem er mit Inbrunst angesetzt hatte, gab er seinem Pferd die Hacken. Vor ihm noch immer, auf dem leuchtenden Weiß der Marmorfliesen, der Wolfszahn, er selbst von Verzweiflung und neuer Hoffnung zerrissen – bei anderer Gelegenheit war er in solcher Stimmung wie ein Besessener durch seine Hauptstadt geritten und hatte jeden getötet, der ihm zufällig unter die Augen geraten. Jetzt zerstörte er den Wolfszahn. Er ritt so oft darüber hin, bis er zu Staub zermalmt und nichts mehr davon mit bloßem Auge zu sehen war als das gekordelte Band.
Erst dann kamen ihm Sinn und Verstand zurück, dazu Argwohn und Zweifel: Warum war eine Ungläubige ausgerechnet auf eine Marmorkugel erpicht, die mit der Heiligen Schrift geschmückt? Wo war die Kugel zu finden, wem galt es, sie zu entreißen?
»Du kennst ihn gut. Er trägt sie an einem Seidenband um den Hals, wenn er Audienz abhält.«
Kein anderer als Toktamisch war es, der die Korankugel derzeit in seinem Besitz wußte. Bei seinen Streifzügen durch den Norden Irans sei sie ihm in die Hände gefallen. Den Rest ließ Nazira vielsagend offen, wußte sie doch, daß sie Timur damit in den Krieg geschickt und zumindest für Jahre vom eigenen Hals hatte.
Ob er denn hoffen dürfe, träumte der bereits vom Sieg und der anschließenden Hochzeit mit seiner neuen Hauptfrau, ob er denn hoffen dürfe, daß er in ihrem Herzen Eingang finde, sofern er die Kugel bringe?
Das dürfe er, versetzte Nazira kühl. Auf ihrer Stirn war eine Ader blau hervorgetreten, die bislang noch nie dort zu sehen gewesen.
Timur sagte wenig und merkte sich alles. Seit diesem Treffen im
Garten, der das Herz erfreut
bereitete er den nächsten Feldzug gegen Toktamisch vor, mit dem er ein Bündnis einst geschlossen und durch Schlachten weißer Tiere bekräftigt. Er ließ sich durch Schamanen, seinen Lieblingsderwisch und sicherheitshalber auch durch ein Fatwa bestätigen, daß
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