Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
Kondolenzbesuche anhalten, erstaunlich dicke Wagen vor dem Haus des Witwers parken. Am vierzigsten Tag würde der Erdhaufen auf dem Grab zusammengesackt sein, würde das Grab ummauert werden und der Grabstein gesetzt. Kaufner würde auch dann wieder auf unauffällige Weise dabei sein; heute trat er, sobald der Leichenschmaus in der Straße vor dem Haus der Verstorbenen beendet und Teepäckchen oder Geld an die Trauergäste verteilt worden, heute trat er im Gedränge auf den Witwer zu, sprach ihm sein Beileid aus. Der Witwer behandelte ihn mit vollkommener Gleichgültigkeit, als sähe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben. Als habe der Tod seiner Frau nichts mit demjenigen von Odina zu tun. Als sei sie das Opfer eines tragischen Unfalls, deren es in Samarkand leider jeden Winter gebe.
    Auch Shochi wollte sich nicht weiter darüber äußern. Wie erlöst saß sie vor dem Kachelofen im Hauptraum, bestickte mehr oder weniger uneifrig ein rosa Taschentuch mit goldenen Bären.
    Für ihren Zukünftigen, ja. Am Hochzeitstag bekomme man von vielen der Gäste echte Bären geschenkt. Aus Plüsch. Das bringe Glück, je mehr Bären, desto besser.
    Sie drehte an einem der Ohrstecker, das Licht lag auf ihrem schwarzen Haar und leuchtete, plötzlich sah sie wie eine junge Frau aus. Dann wischte sie sich das Licht aus dem Haar und war wieder das Mädchen, das Kaufner nun bald zwei Jahre kannte.
    »Du brauchst mich gar nicht so anzugucken«, legte sie die Stickerei verärgert aus der Hand. »Ich bin häßlich, ich weiß. Das macht aber nichts.«
    Weil sie Kaufners Schweigen mißverstand, wollte sie ihm beweisen, daß sie »trotzdem heiraten« werde, wozu sonst hätte sie eine Hochzeitstruhe. Die sei zwar noch halb leer, aber das werde sich ändern. Die Truhe indes, wie andre Möbel auch, stand in der Loggia, wo sich Jonibek an warmen Tagen mit seinen Freunden traf. Sie verdienten ihr Geld mit Wetten auf Hundekämpfe im Ferghanatal; wahrscheinlich veranstalteten sie selber welche in einem der Außenbezirke Samarkands. Manchmal waren sie furchtbar aufgeregt, manchmal fehlte einer ihrer Hunde oder tauchte arg zerbissen auf. Heute war ein warmer
und
aufgeregter Tag, der Weg in die Loggia war versperrt, Shochi mußte sich ins Haus zurückziehen:
    »Die Hunde sind nicht nett. Die machen sogar die Blumen unglücklich, ich weiß es.«
    Wurde es mittags warm, konnte man aber auch ganz gut auf dem Balkon sitzen, dem Wechsel der Farben auf der Kuppel des Gur-Emir zusehen und die Sommerwunden ausheilen lassen. Sobald sie sich endlich wieder ganz geschlossen hatten, bildete sich eine dicke Haut darüber, die sich wie abgestorben anfühlte, ehe sie erneut riß, verhärtete, sich in dunkelbraunen Krusten ablöste.
    Funktionierte die Heizung, konnte man aber auch ganz gut auf dem Bett liegen und zur Decke starren. Die immergleichen Ödnisse der Fels- und Schotterhänge hatten Kaufner ausgelaugt, in Gedanken ging er die Pfade des Sommers wieder und wieder ab, über die Gletscherpässe des Fangebirges bis tief hinunter in die Schluchten des Hissorgebirges. Unweigerlich kam er dabei auch ins
Tal, das von Wolken verdunkelt wird
und auf die Sache mit dem Wolfszahn.
    Auf den Hochplateaus, in die Odina nach Besteigung von
Jubiläums
- und
Kronenberg
mit seinem Herrn hinabgewandert war, die Gletscherbäche entlang, waren sie nicht nur vereinzelt auf die Jurten kirgisischer Schäfer gestoßen, die hier ihre Sommerweiden bewirtschafteten, sondern regelmäßig auch auf chinesische Kontrollposten. Angeblich schützten sie lediglich ihre Landsleute, die als Berater der tadschikischen Ministerien Gletscher vermaßen und seltene Erden suchten, neue Vorkommen an Uran oder sonstigen Erzen. Odina wusste über all die Wasserkraft-, Schürf- und sonstigen Kooperationsabkommen mit China bestens Bescheid, er malmte mit dem Kiefer, wenn er davon erzählte. Dabei ließen die Soldaten anscheinend jeden passieren, der so hoch oben seiner Wege ging, sie winkten den beiden sogar freundlich zu. Einmal kam ihnen ein schwer bepackter Esel entgegen, ohne daß ein Treiber folgte, auch das war den Chinesen egal. Der Esel gehe alleine, erklärte Odina später, er kenne den Weg. Aber warum er das tat und wo sein Herr möglicherweise abgeblieben war, erklärte er nicht.
    In den tieferen Lagen sah man die Chinesen dann zu Tausenden, wie sie Straßen und Tunnel anlegten, sie lebten in Camps direkt an den Trassen. In den Tälern gab es komplett chinesische Barrackensiedlungen mit Läden,

Weitere Kostenlose Bücher