Samtheiß
erleichternd es war, im Auge des Wirbelsturmes zu leben, egal wie häufig wir uns auf die Lippen beißen und den Mund halten mußten. Afrekete hatte eine siebenjährige Tochter, die sie bei ihrer Mutter in Georgia gelassen hatte, und wir erzählten uns unsere Träume.
»Sie wird später einmal lieben können, wen sie will«, sagte Afrekete heftig und zündete sich eine Lucky Strike an. »Und genauso wird sie arbeiten können, wo sie will. Dafür wird ihre Mama schon sorgen.«
Einmal sprachen wir darüber, daß schwarze Frauen keine Wahl hatten, daß sie zu unserem Kampf verpflichtet waren und unseren Krieg zu sehr und zu häufig in den Bollwerken des Feindes ausfechten mußten, und daß die Landschaften unserer Seelen durch diese vielen Schlachten und Feldzüge geplündert und verwüstet worden waren.
»Und ich habe nicht genug Narben, die das beweisen«, seufzte sie.
»Wenn du nicht untergehst, macht dich das stark, Baby. Und das mag ich an dir so. Wir werden es beide schaffen, weil wir einfach zu stark und verrückt sind!«
Und wir lagen uns in den Armen und lachten und weinten, weil wir für diese Stärke so sehr haben bezahlen müssen, und es so schwer war, jemandem, der es noch nicht wußte, zu erklären, daß Sanftheit und Stärke zusammengehören, genauso wie unsere Freude und unsere Tränen sich auf dem einen Kissen unter unseren Köpfen vermischten.
Und die Sonne schien auf uns herab, gedämpft durch die staubigen Fenster und die vielen Grünpflanzen, die Afrekete pflegte wie einen Kult.
Ich nahm eine reife Avocado und rollte sie zwischen den Händen hin und her, bis die Haut nur noch eine grüne Umhüllung für das weiche breiige Fruchtfleisch war und dem harten Kern im Inneren.
Ich erhob mich von einem Kuß auf deinen Mund, biß ein kleines Loch in die Haut der Avocado, drückte den hellgrünen Fruchtbrei in dünnen feierlichen Linien über deinen nußbraunen Bauch.
Öl und Schweiß unserer Körper hielten den Brei flüssig und ich massierte ihn über deine Schenkel und zwischen deine Brüste, bis deine braune Haut wie Licht durch den Schleier hellsten Avocadogrüns schimmerte, eine Hülle aus göttinnengleicher Birne, die ich langsam von deiner Haut leckte.
Und dann mußten wir aufstehen und die Kerne und Fruchtstückchen aufsammeln und in Müllsäcken vor die Tür stellen, denn wenn wir sie auch nur kurz am Bett liegenließen, stürzten sich Horden von Kakerlaken auf sie, die stets in den Fugen der Wände von Harlem, besonders den kleineren und älteren Häusern unterhalb der Morningside-Anhöhen warteten.
Afrekete lebte in der Nähe von Genevieves Großmutter.
Manchmal erinnerte sie mich an Ella, Gennies Stiefmutter, die den ganzen Tag mit Schürze und Besen vor dem Zimmer herumschlurfte, wo Gennie und ich auf dem Sofa lagen. Sie sang immer wieder und wieder und wieder das eintönige kleine unendliche Lied.
Mami hat mich abgestochen
Papi und mich
Armer kleiner Bruder
lutsch meine Knochen...
Und eines Tages drehte Gennie ihren Kopf in meinem Schoß und sagte unbehaglich: »Manchmal weiß ich nicht, ob Ella verrückt ist oder blöd oder göttlich.«
Und heute glaube ich, daß die Göttin durch Ella gesprochen hatte, aber Ella war zu sehr geschlagen und betäubt von Philips Brutalität, als daß sie ihren eigenen Worten Glauben hätte schenken können, und wir, Gennie und ich, waren zu überheblich und kindisch - nicht ganz zu Unrecht, denn wir waren damals noch halbe Kinder - um zu erkennen, daß unser Überleben davon abhängen könnte, daß wir dem monotonen Gesang der fegenden Frau genau zuhörten.
Ich verlor Gennie, meine Schwester, an mein Schweigen und ihren Schmerz und ihre Verzweiflung, an unsere Wut und an die Grausamkeit einer Welt, die ihre Jugend wie nebenbei zerstört - es gab weder eine rebellische Geste noch ein Opfer oder Hoffnung auf ein Aufleben anderer Gefühle, wir haben die Zerstörung einfach nicht bemerkt oder uns nicht darum gekümmert.
Ich habe meine Augen niemals vor dieser Grausamkeit verschließen können, was mich nach der gängigen Definition von psychischer Gesundheit zu einer psychisch ungesunden Person macht.
Afreketes Haus war das höchste in der Gegend, bevor die Berge des Morningside Parks auf der anderen Seite der Avenue begannen, und eines Nachts mitten im Sommer nahmen wir eine Decke mit aufs Dach. Sie wohnte im obersten Stockwerk, und in einer stillen Übereinkunft gehörte das Dach denjenigen, die unter seiner Hitze leben mußten. Das Dach war
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