Samtheiß
Kitty und ich uns an. Wir standen auf der Tanzfläche und warteten auf die nächste Platte und den nächsten Tanz. Es war ein langsamer Sinatra. Als wir uns zu der schmalzigen Musik bewegten, kamen sich unsere Gürtelschnallen immer wieder ins Gehege, und wir drehten sie zur Seite, als niemand hinschaute.
Während der letzten paar Monate, seit Muriel ausgezogen war, war meine Haut kalt und hart gewesen und hatte mich umgeben wie dünnes gefrorenes Leder, das in Form blieb.
In jener Nacht auf der Tanzfläche des Page Three, als sich unsere Körper beim Tanzen berührten, spürte ich, wie mein Panzer langsam weich wurde und schließlich schmolz, und eine warme, fast vergessene Vorfreude überflutete mich, die jeder Kontakt unserer tanzenden Körper aufs neue entfachte.
Ich spürte, daß sich auch in ihr etwas leise bewegte, als würde ein fester Knoten gelockert, und schließlich gingen wir gar nicht mehr zurück an die Bar, sondern blieben auf der Tanzfläche, warteten auf die nächste Platte und tanzten nur noch miteinander.
Kurz nach Mitternacht verließen wir zusammen in wortlosem, gegenseitigem Einverständnis das Page Three und gingen durch das West Village zur Hudson Street, wo sie ihren Wagen geparkt hatte. Sie hatte mich zu sich auf einen Drink eingeladen.
Als wir den Sheridan Square überquerten, wurde der Schweiß unter meinen Brüsten, der sich während des Tanzens dort gebildet hatte, in der Nachtluft eiskalt. Ich blieb kurz stehen und winkte den Stammgästen von Jim Atkins Coffeeshop an der Ecke Christopher Street durchs Fenster zu.
Während wir fast wortlos in ihrem Wagen in Richtung uptown fuhren, versuchte ich, nicht nachzudenken. Die Quelle unter meinem Magen schmerzte und breitete sich wie Quecksilber über meinen Körper zwischen meinen Beinen aus. Der Geruch ihres warmen Körpers, der sich mit dem Duft ihres leichten Parfüms und der Lavendelpomade mischte, erfüllte den Wagen.
Meine Augen ruhten auf ihren kokosnußduftenden Händen am Lenkrad und auf dem Schwung ihrer Wimpern, während sie auf die Straße schaute. Sie erleichterte es mir, auf ihre sporadischen Bemerkungen mit gelegentlichem freundlichen Brummen zu reagieren.
»Ich bin schon ewig nicht mehr in den Bars downtown gewesen, weißt du? Es ist komisch. Ich weiß nicht, warum ich das nicht öfter mache. Aber ab und zu sagt mir eine innere Stimme: geh, und dann gehe ich. Das ist wahrscheinlich etwas anderes, wenn man hier wohnt.« Sie lächelte mich goldblitzend an.
Als wir die 59. Straße kreuzten, hatte ich einen akuten Panikanfall. Wer war diese Frau überhaupt? Angenommen, sie wollte wirklich nur etwas mit mir trinken? Angenommen, ich hatte ihre Einladung völlig mißverstanden und würde bald uptown gestrandet sein, um drei Uhr in der Frühe an einem Sonntagmorgen, und habe ich überhaupt genug Geld dabei für das Taxi nach Hause? Habe ich den Katzen genug Futter hingestellt? Würde Flee morgen früh mit ihrem Fotoapparat rüberkommen und würde sie die Katzen füttern, wenn ich nicht da wäre? Wenn ich nicht da wäre.
Wenn ich nicht da wäre. Die Tragweite dieses Gedankens war so verwirrend, daß es mich fast aus dem Wagen warf.
Ich hatte in jener Nacht nur Geld für ein Bier gehabt, also wußte ich, daß ich keinen sitzen hatte, und Gras gab es nur bei besonderen Anlässen. Ein Teil von mir fühlte sich wie eine rasende Löwin, entflammt vor Begehren. Sogar die Worte, die ich dachte, wirkten wie aus einem Groschenroman.
Aber dieser Teil von mir war betrunken von der Schenkelnähe dieser aufregenden, unbekannten dunklen Frau, die uns mit ihren Lackschuhen und ihrem Kamelhaarswinger und ihrem leichten Geplauder ruhig durch Manhattan fuhr und von Zeit zu Zeit mit ihrer behandschuhten Hand wie zur Bekräftigung des Gesagten mein Knie berührte.
Ein anderer Teil von mir fühlte sich furchtbar, der Situation nicht gewachsen und wie ein vier Jahre altes Kind. Ich war die Idiotin, die den Liebhaber spielte und entlarvt und ausgelacht und zurückgestoßen werden würde.
Könnten zwei Frauen das Feuer miteinander teilen, das wir in jener Nacht spürten, ohne sich gegenseitig einzuengen oder zu ersticken? War das überhaupt möglich? Ich sehnte mich danach so wie nach ihrem Körper, unsicher und dennoch voller Sehnsucht.
Und wie war es möglich, daß ich mir die Welle dieser Frau in mir und um mich wünschte, wenn ich doch bis vor wenigen Stunden, und so viele Monate lang, um Muriel getrauert hatte und so sicher gewesen war,
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