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Samtheiß

Samtheiß

Titel: Samtheiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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daß ich mein weiteres Leben mit gebrochenem Herzen verbringen würde? Und was, wenn ich mich getäuscht hatte?
    Wenn der Knoten in meinem Inneren nicht gewesen wäre, ich wäre an der nächsten roten Ampel aus dem Wagen gesprungen. Das dachte ich zumindest.
    An der Kreuzung 7th Avenue und 110. Straße verließen wir den Park Drive, und als die Ampel auf der leeren Straße umsprang, drehte mir Afrekete ihr schönes Gesicht mit den vollen Lippen zu -ohne jedes Lächeln. Ihre großen, leuchtenden Augen blickten mich direkt und verwirrend an. Es war, als wäre sie plötzlich eine vollkommen andere Person, als hätte der Schutzwall aus Glas, den meine Brille für mich immer bildete und hinter dem ich mich so gern versteckte, sich plötzlich in Luft aufgelöst.
    Mit flacher, fast förmlicher Stimme, die meinen Zweifeln entsprach und sie gleichzeitig auflöste, fragte sie mich: »Kannst du über Nacht bleiben?«
    Und dann kam mir erst der Gedanke, daß sie sich vielleicht die gleichen Fragen über mich gestellt hatte, wie ich über sie. Die Mischung aus Direktheit und Takt raubte mir den Atem - diese Mischung ist immer noch selten und kostbar.
    Denn neben dem Vertrauen, das ihre Frage mir gab - der Bestätigung, daß dieses Singen meines Fleisches, diese Anziehung, nicht nur mein Gefühl war, abgesehen von dieser Sicherheit waren in dieser Frage viele Möglichkeiten angedeutet, die mein Dichterhirn aufrührten.
    Sie bot uns beiden - falls nötig - einen Ausweg. Wäre meine Antwort auf ihre Frage aus irgendeinem Grund ein Nein, dann hätte die Syntax ein >Ich kann nicht< zugelassen statt eines >Ich will nicht<, einen äußeren Grund statt einer Ablehnung. Mit den Folgen einer anderen Verpflichtung, ein Job in der Frühe, eine kranke Katze usw. wäre leichter zu leben als mit einer in Worte gefaßten Zurückweisung.
    Sogar die Redewendung >über Nacht bleiben< war weniger ein Euphemismus für körperliche Liebe als vielmehr eine Sicherheitszone, in der wir uns bewegen konnten. Falls ich meine Meinung ändern würde, noch bevor es Grün wurde, und mir einfallen sollte, daß ich eigentlich doch nicht lesbisch war, dann wäre eine einfache Freundschaft immer noch möglich gewesen.
    Ich fing mich und antwortete in meinem coolsten Lower-East-Side-Tonfall: »Na klar, echt gerne« und verfluchte mich sofort für derart banale Worte. Ob sie meine Nervosität wittern konnte und mein verzweifeltes Bemühen, locker und lässig zu erscheinen, obwohl ich in schierem Verlangen zu ertrinken drohte?
    Wir parkten den Wagen halb in einer Bushaltestelle auf der Manhattan Avenue, Ecke 113. Straße, in Gennies alter Gegend.
    Irgend etwas an Kitty gab mir das Gefühl, in einer Achterbahn zu sitzen, von der Idiotin zur Göttin zu werden. Nachdem wir ihre Post aus dem kaputten Briefkasten gefischt hatten, und die sechs Stockwerke zu ihrer Wohnungstür hochstiegen, hatte ich das Gefühl, mein Körper hätte sich nichts jemals mehr gewünscht, als unter ihren Mantel zu gleiten und Afrekete in die Arme zu nehmen, unsere Rundungen einander anzuschmiegen, während ihr Kamelhaarswinger um uns wogte und ihre behandschuhten Hände immer noch die Wohnungsschlüssel hielten.
    Im schwachen Licht des Treppenhauses bewegten sich ihre Lippen wie schäumende Gischt auf dem Kamm einer Welle.
    Es war ein kleines Apartment, anderthalb Zimmer mit Kochnische und hohen, schmalen Fenstern im engen vorderen Raum mit der hohen Decke. Über jedem Fenster waren auf verschiedenen Ebenen Regale eingebaut. Von diesen Regalen schlangen und rankten, hängten und lehnten, Topf an Topf, grüne, zerfranste, große und kleinblättrige Pflanzen in allen Größen und Formen.
    Später sollte ich die Art lieben lernen, wie die Pflanzen das Südlicht filterten. Das Licht fiel so auf die gegenüberliegende Wand, knapp über dem riesigen Aquarium, das leise murmelnd, wie ein Juwel, leuchtend und geheimnisvoll auf seinen schmiedeeisernen Beinen ruhte.
    Mühelos und pfeilschnell schossen regenbogenfarbene Fische hin und her durch das beleuchtete Wasser, suchten die Glaswände des Aquariums ab nach übriggebliebenen Leckerbissen und tauchten ein in die wunderbare Welt aus bunten Kieselsteinen, gemauerten Tunnels und Brücken auf dem Grund des Behälters.
    Rittlings auf einer Brücke saß - mit dem Blick nach unten auf die kleinen Fische, die zwischen ihren Beinen hin und her schwammen - eine kleine braune Gliederpuppe, deren weicher nackter Körper von den aufsteigenden Luftblasen aus der

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