Samtschwarze Nacht - Dodd, C: Samtschwarze Nacht - Into the Shadow (Darkness Chosen 03)
hätte weinen mögen vor Erleichterung und Glück.
Der Berg hatte sie verschont. Er hatte sich gewehrt, hatte gewütet und gewettert, doch sie lebte. Sie hatten überlebt.
Karen glitt vom Sozius. Ihr Hintern vibrierte von der wilden Fahrt. Ihre Knie schlotterten vor Angst.
Sie wäre fast gestorben.
Sie ließ sich in das weiche Gras sinken. Inhalierte den würzigen Duft von blühendem Klee und küsste aus einer plötzlichen Laune heraus den Boden. Dann spähte sie lächelnd zu ihm hoch. »Danke«, sagte sie. »Danke.«
Er würdigte sie keines Blickes. Saß da, stumm und distanziert, als hätten sie sich nie kennen gelernt.
Genau genommen stimmte das ja auch. Ungeachtet der vielen Nächte, in denen sie heißen, hemmungslosen Sex hatten, waren sie sich nicht wirklich nähergekommen, sondern Fremde geblieben.
Trotzdem konnte der Anblick seiner starren, abweisenden Silhouette ihre Euphorie nicht dämpfen. Zumal Karen von einem einzigen Gedanken beseelt war:
Sie lebte.
Sie sprang auf, setzte drei Schritte über das Gras und wirbelte im Kreis wie eine verhinderte Mary Poppins. Dabei hätte sie am liebsten ein paar Lieder aus dem Musical geträllert, aber Singen war nicht unbedingt ihre Stärke. Ihre Stimme war allenfalls badewannentauglich, fand die junge Architektin.
Sie fühlte sich wie im Paradies. Und hätte die ganze Welt umarmen können. Endlich wieder strahlende Sonne, Licht und Wärme. Sie lief zu dem schmalen Fluss. Ein kleiner Wasserfall sprudelte über die Felsen in einen kieselgesäumten Teich, bevor er abermals dem Lauf der Strömung folgte. Das Wasser funkelte verheißungsvoll, sie kniete sich auf einen der Ufersteine, spritzte sich Wasser ins Gesicht und schüttelte sich
vor Kälte. Brrr, das Gebirgswasser war eisig!, bemerkte sie zähneklappernd. Sie machte sich bestimmt lächerlich, aber das war ihr in diesem Moment egal.
Sie waren der Hölle entkommen. Sie lebten.
Sie lachte, als sie feststellte, dass der Staub, der dauernd an ihr herunterrieselte, tatsächlich aus ihren Haaren kam, dass sie überhaupt völlig verdreckt war. Sie streifte ihre Jacke ab, schüttelte sie aus und warf sie beiseite. Dann rubbelte sie sich mit beiden Händen den Kopf und stöhnte gequält auf.Vorsichtig tastete sie ihre Kopfhaut ab, fühlte etwas klebrig Feuchtes in dem Flaum hinter ihrer Ohrmuschel. Zog die Hand weg. An ihren Fingern war Blut.Vermutlich hatte sie sich an einem scharfkantigen Steinchen geritzt.
Na und? Es war bestimmt nicht weiter tragisch. Hauptsache, sie lebte.
Sie schloss die Augen, senkte den Kopf und dankte Gott dafür. Danach sprang sie elanvoll auf, fest entschlossen, sich sämtlichen neuen Herausforderungen zu stellen.
Als sie sich umdrehte, stand er hinter ihr.
Verblüffte sie das? Inzwischen wusste sie doch, dass er die Eigenschaft hatte, sich lautlos wie ein Panther anzuschleichen.
Trotzdem fuhr sie erschrocken zusammen.
Er war gut einen Meter achtzig groß, breitschultrig, der V-förmige Brustkorb verjüngte sich zu schmalen Hüften. Seine dunkel glänzenden langen Haare und der wilde schwarze Vollbart starrten ebenfalls vor Schmutz, Steinchen und Staub. Sein Gesicht unter der festgebackenen Kruste war sonnengebräunt, seine
Züge muteten leicht slawisch an. Ob er aus Osteuropa stammte?, überlegte die junge Frau.
Und seine Augen? Seine Augen waren schwarz. Weder mitternachtsblau noch schokoladenbraun oder zinngrau. Nein, kohlschwarz. So schwarz, dass die Pupille mit der Iris verschmolz. Schwarz, irisierend und schimmernd wie Obsidian, der glasige Stein aus den Tiefen brodelnder Vulkane.
Sie stolperte unwillkürlich einen Schritt rückwärts.
Er packte sie an ihrem T-Shirt und hielt sie fest. Riss sie an sich.
Drogen? Ja, das passte. Solche Augen bekam man wahrscheinlich, wenn man Drogen genommen hatte.
Entweder Drogen - oder sie war bei dem Erdrutsch tatsächlich ums Leben gekommen und er war der leibhaftige Teufel.
Allerdings schien alles so real. Er schien real. Sie standen kaum Zentimeter voneinander entfernt. Er neigte sich über sie, sein warmer Atem streifte ihr Gesicht. Und als sie ihm fest in die Augen sah, tauchte ihr Blick tief in seine Seele, rabenschwarz und gequält, dass ihn niemand von dem Schmerz erlösen mochte. Niemand, außer vielleicht … Karen.
»Bist du noch ganz bei Trost? Was dachtest du dir eigentlich dabei?« Die Stimme ihres nächtlichen Lovers, ja, aber eindringlich, scharf, schneidend. »Seelenruhig stehen zu bleiben und zuzuschauen, wie der
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