Samuel Carver 01 - Target
den frühen Morgen einen Erster-Klasse-Flug mit British Airways nach London, wo er gegen Mittag nach Miami weiterfliegen würde. Leclerc benutzte seine Firmenkreditkarte.
Er war am Abend nach der Arbeit nach Hause gekommen und hatte versucht, sich zu benehmen wie immer. Die Sticheleien waren nicht schlimmer, das Schweigen zwischen ihnen nicht demonstrativer als sonst. Nach dem Abendessen hatten sie sich ins Wohnzimmer begeben. Leclerc saß in seinem Fernsehsessel und schaute sich gerade eine üble amerikanische Polizeiserie an, als es an der Tür klingelte.
Er hob den Arm und drückte auf die Fernbedienung, um den Ton leiser zu schalten. Es klingelte noch dreimal und jedes Mal länger. »Geh und mach auf«, befahl er Serge, einem mürrischen, schlaksigen Jungen von siebzehn Jahren, der das jüngere seiner beiden Kinder war. Serge blieb reglos in seinem Sessel sitzen, um jeden wissen zu lassen, wie sehr er die Störung dieses wichtigen Mußetermins übelnahm, bevor er sich aufraffte. Er schlug beim Hinausgehen die Tür zu und stolzierte übellaunig in die Eingangshalle.
Leclerc drehte den Kopf zur Tür. Er hörte, wie geöffnet wurde. Sein Sohn sagte: »Wer …?« Dann hörte er ein lautes Knacken, etwa als würde ein Ei zerbrechen, und einen dumpfen Aufschlag auf dem Fußboden.
Marthe reagierte als Erste. Sie sprang auf und war auf halbem Weg zur Tür, als diese aufgerissen wurde und zwei Männer hereinkamen. Sie hielten jeder eine Pumpgun in der Hand. Am Kolben der einen klebte Blut.
Der Erste, der hereinkam, hatte feuerrote, stachelige Haare. Er prallte beinahe mit Marthe zusammen und hielt kaum im Schritt inne, als er ihr sein Knie in die Magengrube rammte. Marthe klappte keuchend zusammen. Er stieß sie weg, dass sie gegen die Wand stürzte.
Leclercs Tochter Amelie, eine dünne, unscheinbare junge Frau von neunzehn Jahren, fing an zu kreischen. Der Zweite, ein Mann mit rundem Gesicht und dicken Lippen, versetzte ihr einen Faustschlag, um sie zum Schweigen zu bringen, und schleuderte sie quer durchs Zimmer. Sie landete als hilfloses Häuflein neben ihrer Mutter.
Keine fünf Sekunden waren vergangen, seit die Männer den Raum betreten hatten. Leclerc klebte in seinem Sessel und sah wie gelähmt mit an, was mit seiner Familie geschah. Als er sich mit schreckgeweiteten Augen hochstemmte, schwenkte einer der Männer die Waffe auf ihn. Der andere zielte auf die beiden Frauen, die an der Wand kauerten.
Sie blickten sich an. Der Rothaarige nickte kurz, dann feuerten sie.
61
Kurz vor Mitternacht trafen sie auf die Kaltfront. Das Wetter wechselte so plötzlich wie das Programm beim Fernsehen. Eben noch segelten sie mit halbem Wind ruhig auf nördlichem Kurs ihrem Ziel entgegen. Im nächsten Moment war es zehn Grad kälter, und der Wind hatte um fünfundvierzig Grad nach Norden gedreht, an Geschwindigkeit zugelegt und führte einen stechenden Regen mit sich, der mit gleichbleibender Stärke auf sie niederging.
Dieser Wind legte sich mit allem an, was ihm in die Quere kam. Er fuhr in eine See, die mit der Ebbeströmung den Kanal herunterfloss, und peitschte die rollende Dünung zu kurzen, steilen Wellen auf, die gegen das Boot klatschten und es hin und her und auf und nieder warfen wie ein Spielzeug.
Es hatte keinen Sinn, dass alle drei Männer an Deck blieben; darum vereinbarten sie einen Dienstplan mit zweistündigen Wachen. Sie schalteten die Pinne auf Selbststeuerung. Wer an Deck stand, brauchte nur die Augen offen zu halten und notfalls das System außer Kraft zu setzen, um wieder von Hand zu steuern. Carver übernahm die erste Wache, Trench bot sich für die zweite an. Auf diese Weise würde Faulkner eine ganze Weile schlafen können. Er brauchte die Erholung. Er hatte über zwölf Stunden an der Pinne gestanden. Bis seine Wache vorüber wäre, würde es dämmern. Dann wären sie alle wieder an Deck.
Carver rechnete während der ersten Wache nicht mit Ärger. Wenn er im Steuerhaus stand, würde ein Angreifer die Leiter herauf und durch die Luke klettern müssen und dabei aus dem Hellen ins Dunkle kommen. Sofern er nicht an der Ruderpinne einschlief, würde ihn niemand überwältigen können. Er wäre erst wieder angreifbar, wenn er sich unter Deck begab.
Am Ende seiner Wache trat Carver an die Luke, hielt sich fest und schwang die Beine hindurch, ohne die Sprossen zu berühren, sodass er mit einem Sprung in der Kabine landete. Er kam in der Hocke auf. Trench saß in der Mitte auf der
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