Samuel Carver 02 - Survivor
zaghaften Schritte der tschechischen Regierung in Richtung Demokratie und freie Meinungsäußerung zunichtezumachen, war Novak ein junger Offizier im tschechischen Militärgeheimdienst gewesen. Als er Doppelagent wurde und Informationen an die Amerikaner weitergab, sah er darin nicht einen Moment lang einen Verrat an seinem Land. Für ihn war das ein Akt des Widerstands gegen die kommunistische Diktatur, genau wie Eishockey.
Das erste Drittel endete, und die Mannschaften verließen das Eis. Novak entspannte sich auf seinem Sitz, machte sogar ein nachdenkliches Gesicht. Er hatte kurze graue Haare, eine Brille mit Goldrand und einen dichten grauen Schnurrbart, der an den Mundwinkeln herunterhing und ihn immer mürrisch aussehen ließ.
»Weißt du«, meinte er, »das Leben wäre einfacher, wenn es wie ein Eishockeyspiel wäre. Es gibt zwei Seiten. Beide wollen die jeweils andere besiegen. Manchmal gibt es einen Kampf. Aber beide Seiten akzeptieren immer die Regeln. Jeder weiß, wo er steht. Verstehst du, was ich meine?«
Vermulen zuckte die Achseln. »Vermutlich.«
»Ich meine, als du noch auf der einen Seite der Mauer gestanden hast und ich auf der anderen, da kannten beide Seiten die Regeln. Sie hatten Waffen, mit denen sie den ganzen Planeten vernichten konnten. Viele Leute dachten, das ist verrückt, aber das war gar nicht so verrückt. Schließlich ist keiner von den Sprengköpfen losgegangen. Aber jetzt gibt es keine Regeln mehr. Es gibt nicht mehr nur zwei Seiten, sondern viele. Das ganze Spiel fällt auseinander, und erst jetzt mache ich mir Sorgen.«
Vermulen kniff die Augen zusammen. Mehrere Jahre lang hatte er in der Defense Intelligence Agency, der militärischen Entsprechung der CIA, gearbeitet, und damals war er für Novak zuständig gewesen. Etliche Jahre später waren sie beide pensioniert und übernahmen nur noch private Aufträge. Vermulen als Gutachter für Regierungen und Firmen, als Berater bei multinationalen Waffengeschäften, Novak von Prag aus als Vermittler zwischen den militärischen, wissenschaftlichen und geheimdienstlichen Interessenten im ehemaligen Sowjetblock und den verschiedenen Kunden rund um den Globus.
»Viele Seiten heißt viele Kunden, Pavel. Ich würde sagen, das war gut für dein Geschäft.«
»Meistens ja«, stimmte der Tscheche zu. »Aber manchmal … Du kennst die ganzen Geschichten, dass die Russen hundert Atomwaffen verloren haben. Wahrscheinlich habe ich dir auch erzählt, dass sie stimmen …«
»Also hat Lebed die Wahrheit gesagt?«
»Ja, aber in einem Punkt hat er sich geirrt. Er sagte, dass keiner weiß, wo die Bomben sind. Das stimmt nicht ganz. Die Daten werden bald auf dem freien Markt verfügbar sein. Es gibt einen Computerausdruck. Er enthält die Koordinaten, die Codes, alles.«
Vermulen merkte auf.
»Und den hast du?«
»Noch nicht. Aber ich wurde von jemandem angesprochen, der ihn verkaufen will, jemand, der meinen Ruf als, sagen wir mal, ehrlicher Makler kennt.«
»Aber dieser Ausdruck, wenn er korrekt ist, und er kommt in die falschen Hände …«
»Die Folgen wären undenkbar. Darum frage ich mich, ob ich darin verwickelt werden will. Der finanzielle Gewinn wäre natürlich beträchtlich. Aber wenn ich damit Terroristen oder Drogenkartellen eine derartige Macht zuschanze, weißt du, ich bin mir nicht sicher, ob ich damit leben könnte. Aber kann ich es einfach ablehnen und irgendeinen anderen den Deal machen lassen? Die Folgen wären dieselben.«
»Was soll ich für dich tun?«
»Was du immer getan hast – meine Information zu den Leuten bringen, die sie hören müssen. Du hast vielleicht noch Freunde im Pentagon oder sogar im Weißen Haus. Erklär ihnen die Situation. Vielleicht können wir uns einigen. Schließlich muss ich meine Kosten decken.«
»Gut. Möglich, dass ich was tun kann. Aber ich brauche mehr Informationen. Diese Koordinaten auf der Liste, sind die alle in Amerika?«
»Nicht alle, nein … Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber meinem Eindruck nach ist ein Teil davon hier, ein anderer Teil ist in Europa oder auch in Asien.«
»Nur NATO-Staaten und Alliierte?«
Novak zog verwundert die Brauen hoch. Hatte Vermulen tatsächlich keine Ahnung?
»Ich brauche die Liste nicht zu sehen, um diese Frage beantworten zu können, alter Freund. Die Russen verachteten und fürchteten den Rest des Ostblocks noch mehr als ihre Feinde im Westen. Und sie wussten, wie sehr wir sie hassten. Ich kann dir ohne jeden Zweifel garantieren,
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