Samuel Carver 04 - Collateral
und löste sofort einen bewaffneten Einsatz aus. Sobald er ihn gedrückt hatte, lief die Uhr. Maximal sechs Minuten brauchte er aus eigener Kraft zu überleben.
Er neigte sich zur anderen Hälfte des Doppelbettes hinüber und schüttelte Brianna an der Schulter. Sie stöhnte leise und rückte ein Stückchen weg. Er schüttelte sie erneut.
»Geh weg«, murmelte sie.
Klerk packte sie energischer und gab ihr einen unsanften Stoß. »Steh auf«, flüsterte er. »Sofort!«
Sie stützte sich auf einen Ellbogen und schaute ihn verschlafen an. »Was ist los?«, fragte sie leicht beunruhigt.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Klerk, »aber ich will, dass du in den Schutzraum gehst. Tu’s einfach. Sofort!«
Brianna machte kein Aufhebens. Sie kannte Wendell gut genug und wusste, dass er das nicht ohne guten Grund von ihr verlangte. Als sie nach dem Morgenrock griff, der am Fußende des Bettes lag, fragte sie: »Und du?«
Klerk war ebenfalls aus dem Bett. Genau wegen solch einer Situation schlief er nachts in Pyjamahosen. Er erzählte seinen Dinnergästen gern, dass er auf keinen Fall splitternackt vor einem Einbrecher stehen wollte. »Ich will den Scheißkerl ja nicht erschrecken.« Jetzt ging er zu Brianna, nahm sie schnell und leidenschaftlich in den Arm, küsste sie auf die Wange und sagte: »Keine Angst, mach dir lieber Sorgen um den anderen Kerl. Und jetzt raus mit dir!«
Sie strich ihm flüchtig über die Wange, dann rannte sie in ihren begehbaren Kleiderschrank. An der Wand hinter ihren Ballkleidern verbarg sich ein kleiner Touchscreen. Sie drückte die Handfläche dagegen, und eine bis dahin unsichtbare Tür tat sich auf wie der Eingang von Narnia. Sie führte nicht in ein magisches Königreich, sondern in eine Kammer von drei Quadratmetern, die im Grunde ein kugel- und bombensicherer Banksafe mit Frischluftzufuhr war, der jedoch keine Barschaften, sondern Menschen schützen sollte. Sowie sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, war sie sicher wie ein Goldbarren in Fort Knox.
Wendell Klerk hatte nie vorgehabt, den Schutzraum selbst zu benutzen. Vor anderen gab er als Grund an – der nicht einmal gelogen war –, dass er sich nicht wie ein Feigling verstecken wolle, während jemand gewaltsam in seinen Besitz eindrang. Das verletze seinen männlichen Stolz. Den eigentlichen Grund hatte er noch niemandem verraten, auch nicht Brianna und Zalika. Ein Mal war er in dem Schutzraum gewesen, um zu sehen, wie das ist. Er hatte die Tür hinter sich geschlossen und plötzlich einen klaustrophobischen Anfall bekommen: Herzrasen, starkes Schwitzen, Atemnot. Er war sich vorgekommen wie lebendig begraben, und das machte ihm mehr Angst, als ein Mensch ihm je einjagen könnte. Unter keinen Umständen würde er je wieder da reingehen.
Sobald er Brianna in Sicherheit wusste, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Verteidigung seines Eigentums. Der Schutzraum war nicht das einzige Geheimnis des begehbaren Kleiderschranks. An der einen Wand, die seiner Kleidung vorbehalten war, stand eine große Kommode, in der er Unterwäsche, T-Shirts, Sweatshirts und Pullover hatte. Aus der untersten Schublade, unter zwei Stapeln ordentlich gefalteter Pullis, zog er ein brutal einfaches, fast primitiv aussehendes schwarzes Schrotgewehr hervor. Dann nahm er ein Trommelmagazin mit zweiunddreißig Patronen Kaliber 12 und befestigte es unter der Waffe. Was er jetzt hatte, war eine voll geladene AA-12, die dreihundert Schuss pro Minute abfeuern konnte.
Klerk war einmal dem Mann begegnet, der das Schrotgewehr entwickelt hatte, einem grauhaarigen Ingenieur aus Piney Flats in Tennessee namens Jerry Baber. Baber hatte nichts bemäntelt, als er das AA-12 beschrieb. Er hatte nur gesagt: »Das ist wahrscheinlich die leistungsstärkste Waffe der Welt. Innerhalb einer Entfernung von zweihundert Metern kann keiner überleben. Da ist so viel Blei in der Luft, dass alles vernichtet wird.« Klerk hatte sofort eine für jedes Haus, jede Jacht und jedes Flugzeug gekauft.
Mit dieser Waffe in den Händen fühlte er sich wie ein menschlicher Panzer. Als er die Schlafzimmertür, die auf den Treppenabsatz führte, langsam aufzog, hörte er unten Glas splittern. Ein gieriges, wölfisches Grinsen überzog sein Gesicht. »Versuch’s doch mal«, flüsterte er. Fast tat ihm der Einbrecher leid.
Wendell Klerk war wieder im Einsatz. Er nutzte seine Kenntnis des Hauses, um das Schlachtfeld zu bestimmen und die beste Schussposition zu besetzen. Er wartete, bis der
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