Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
überlegte. Sollte er ihr auch erzählen, was es mit dem Buch seines Vaters auf sich hatte? Nein, beschloss er, er durfte ihr nicht die ganze Wahrheit sagen. Jedenfalls noch nicht. Das Buch war sein einziger Besitz von Wert. Er konnte nur vermuten, dass andere Personen es darauf abgesehen hatten. Aber solange er nicht wusste, wer diese anderen Personen waren, war es am besten, wenn möglichst wenige von dem Buch wussten.
»Ich habe keine Ahnung«, log er. »Vielleicht Leute, die keine Gaijin mögen.«
»Wer denn?«
»Ich weiß nicht. Pater Lucius starb, bevor er es mir sagen konnte.«
»Wir sollten mit jemandem darüber sprechen«, schlug Akiko vor.
»Nein! Wer würde mir glauben? Alle würden sagen, das seien die Fantasien eines Sterbenden.«
»Aber du scheinst Pater Lucius zu glauben.« Akiko musterte Jack aufmerksam. Sie war nicht dumm und spürte, dass er etwas vor ihr verbarg. Aber Jack wusste auch, dass die japanische Höflichkeit sie daran hinderte, weiter nachzufragen.
Er zuckte die Schultern. »Vielleicht habe ich ihn falsch verstanden. Ich bin mir nicht ganz sicher, was er gesagt hat.«
»Natürlich.« Akiko wandte den Blick ab. »Aber nur falls du richtig gehört hast: Sei vorsichtig. Geh am besten mit dem Übungsschwert schlafen. Ich werde meine Mutter bitten, eine Lampe brennen zu lassen. Ich sage einfach, ich hätte Albträume. Dann glaubt ein Eindringling, dass jemand wach ist.«
»Danke, Akiko. Bestimmt stellt sich alles als ganz harmlos heraus.« Jack glaubte zwar selbst nicht, was er gerade gesagt hatte, doch er behielt Recht. Es passierte nichts.
Pater Lucius wurde nach den Bräuchen seines Glaubens begraben und Jack kehrte zum Japanischunterricht mit Akiko und zum kenjutsu mit Yamato zurück.
Einige Tage später traf ein berittener Samurai mit einem Brief ein, in dem Masamoto seine Rückkehr nach Toba innerhalb der folgenden Woche ankündigte.
Im Haus brach geschäftiges Treiben aus. Hiroko begab sich persönlich zum Markt, um die von Masamoto bevorzugten Nahrungsmittel zu besorgen. Sie stellte zur Vorbereitung eines Festmahls sogar zusätzliche Gehilfen für den Koch ein. Chiro schrubbte die Böden, wusch Bettzeug und Kimonos und richtete Masamotos Zimmer her. Uekiya kehrte die Gartenwege und brachte es sogar fertig, den Garten trotz seiner winterlichen Kahlheit schön aussehen zu lassen.
Am Abend vor Masamotos Ankunft gingen alle früh zu Bett, um am folgenden Tag frisch und ausgeschlafen zu sein. Jiro wäre vor Aufregung am liebsten die Papierwände hinaufgelaufen und Hiroko hatte große Mühe, ihn zu Bett zu bringen.
Yamatos Laune hatte sich dagegen verschlechtert, je näher die Ankunft seines Vaters rückte. Er übte bis spät in die Nacht mit dem Schwert, denn er wusste, dass er die Gunst seines Vaters nicht leicht erringen würde.
Jack legte sich auf seinen Futon und starrte auf den gedämpften Schein der Nachtlampe hinter der Schiebetür. Der Kopf schwirrte ihm. Er hatte keine Ahnung, was Masamoto von ihm erwartete, wenn er vor ihm stand. Musste er sich beweisen wie Yamato? Kämpfen? Würde Masamoto prüfen, wie gut er Japanisch konnte? Oder alles drei? Und schlimmer noch, was passierte, wenn er ihn durch einen Verstoß gegen die Etikette kränkte?
Masamoto war niemand, der sich Fragen stellen ließ oder der davor zurückschreckte, jemanden zu töten. Er war streng und schroff und sein vernarbtes Gesicht machte Jack Angst. Er hätte gern gewusst, was den Mann so entstellt hatte.
Dennoch verehrten ihn alle Menschen in seiner Umgebung. Akiko hielt ihn für einen der größten Samurai aller Zeiten. Er hatte Jacks gebrochenen Arm mit einer Kenntnis gerichtet, die sogar das Wissen der erfahrensten englischen Ärzte übertraf. Masamoto war offenbar sehr viel mehr als ein Krieger mit einem vernarbten Gesicht und einem locker sitzenden Schwert.
Ein Schatten strich vor der Nachtlaterne vorbei und tauchte Jacks Zimmer für einen kurzen Moment in vollkommene Dunkelheit. Jack hielt unwillkürlich die Luft an, doch da war niemand. Nicht einmal Schritte waren zu hören.
Vielleicht war Yamato in sein Zimmer zurückgekehrt. Oder ein Luftzug hatte die Flamme nach unten gedrückt. Jack drehte sich auf die andere Seite.
Er schloss die Augen und stellte sich wie so oft beim Einschlafen vor, er stehe am Bug der von seinem Vater gesteuerten Alexandria und kehre im Triumph nach England zurück. Der Bauch des Schiffes war mit Gold, Seide und exotischen Gewürzen aus dem Osten voll beladen und
Weitere Kostenlose Bücher