Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
überlegte, wer wohl diesmal eingetreten sein mochte, da bemerkte er plötzlich, dass die Schüler, die ihre Übungen unterbrochen hatten, ihn anstarrten. In ihren Blicken lagen Erstaunen, Unglauben und offene Verachtung über den blonden Gaijin, der es gewagt hatte, ihren ehrwürdigen Übungsraum zu betreten.
Masamoto hatte ihnen den Rücken zugekehrt und unterhielt sich mit einem streng aussehenden Samurai. Der Mann trug einen Bart, der wie ein spitzer Stachel geformt war.
Jack spürte die Blicke der Schüler wie Pfeile, die ihn durchbohrten.
»Warum hört ihr auf?«, fragte Masamoto. Jack schien er vergessen zu haben. »Macht weiter.«
Die Schüler nahmen ihre Übungen wieder auf, blickten aber immer wieder verstohlen in Jacks Richtung.
»Kommt«, sagte Masamoto zu Jack, Akiko und Yamato. »Sensei Hosokawa zeigt euch eure Zimmer. Ich habe zu tun. Wir sehen uns beim Begrüßungsessen heute Abend in der Halle der Schmetterlinge wieder.«
Sie verbeugten sich vor Masamoto und verließen die Übungshalle durch eine Tür in der hinteren Wand. Sensei Hosokawa führte sie über einen offenen Hof zur Halle der Löwen, einem lang gestreckten Gebäude mit vielen kleinen Zimmern. Sie betraten es durch eine Schiebetür, ließen ihre Sandalen an der Tür stehen und gingen einen engen Gang entlang.
»Hier schlaft ihr.« Sensei Hosokawa zeigte auf einige kleine, karge Zimmer, in denen kaum drei Strohmatten Platz hatten. »Die Badehäuser befinden sich im rückwärtigen Teil. Wenn ihr euch gewaschen und umgezogen habt, hole ich euch zum Essen ab.«
Jack ging in sein Zimmer und zog die Schiebetür hinter sich zu. Er nahm seine Umhängetasche ab und stellte den Bonsaibaum auf das schmale Brett unter dem kleinen Gitterfenster. Dann sah er sich nach einem Versteck für das Buch seines Vaters um. Da es keine Möbel gab, konnte er es nur unter den Futon schieben, der auf dem Boden ausgebreitet lag. Anschließend glättete er die Matratze wieder und streckte sich darauf aus.
Erschöpft von der anstrengenden dreitägigen Reise von Toba bis hierher schloss er die Augen. Auf einmal bekam er eine solche Angst, dass seine Hände zitterten. Was hatte er hier zu suchen?
Er war doch kein Samurai, sondern Jack Fletcher, ein Junge aus England, der davon geträumt hatte, wie sein Vater Steuermann zu werden und die Wunder der Neuen Welt zu erkunden. Er wollte kein Samuraischüler sein, der in einer fremden Welt gestrandet war und von einem einäugigen Ninja bedroht wurde.
Er kam sich vor wie ein Lamm auf dem Weg zur Schlachtbank. Die Schüler hatten ihn angesehen, als wollten sie ihn in Stücke reißen.
24
Sensei
»Samuraischüler!«, rief Masamoto laut durch die Halle der Schmetterlinge, einen lang gestreckten Saal, der mit kunstvoll gemalten Bildern von Schmetterlingen und Kirschbäumen geschmückt war.
Masamoto saß am Ende des Saals im Schneidersitz an einem erhöhten Tisch, einer mächtigen, schwarz lackierten Zedernplatte. Rechts und links von ihm saßen vier weitere Samurai in festlichen Kimonos.
»Der Bushido, der Weg des Kriegers, ist ein schwerer Weg!«
Seine Zuhörer waren neben Jack, Yamato und Akiko weitere hundert Schüler, die offenbar alle unter Masamoto Takeshi lernen wollten.
»Wer ein Samurai werden will, muss das eigene Ich bezwingen, die Strapazen eines mörderischen Übungspensums ertragen und angesichts der Gefahr Gleichmut bewahren«, fuhr Masamoto fort. »Man geht den Weg des Kriegers das ganze Leben. Der Meister erweist sich oft nur darin, dass er auf dem Weg bleibt. 1 Dies erfordert Hingabe, Disziplin und Furchtlosigkeit.«
Masamoto nahm bedächtig einen kleinen Schluck Tee aus seiner Tasse und ließ die Worte auf die Samuraischüler einwirken, die in mehreren ordentlichen Reihen entlang des Saales knieten.
»Ihr braucht jemanden, der euch anleitet. Ohne Anleitung werdet ihr zugrunde gehen. Ihr seid blind durch Nichtwissen, taub durch Erfahrungslosigkeit und stumm aufgrund von Unfähigkeit!«
Masamoto machte wieder eine Pause und ließ den Blick durch die Halle wandern, um sich der Wirkung seiner Worte zu vergewissern. Jack spürte den Ernst seines Blickes, obwohl er am anderen Ende des Saals kniete.
»Ein Baum von einem Klafter Umfang entsteht aus einem haarfeinen Hälmchen«, fuhr Masamoto fort. Er klang nicht mehr ganz so streng. »Ein neun Stufen hoher Turm entsteht aus einem Häuflein Erde. Eine tausend Meilen weite Reise beginnt vor deinen Füßen. 2 Ich stelle euch nun eure Sensei vor, die euch
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