Samurai 1: Der Weg des Kämpfers (German Edition)
meistern.« T/ien T/ai, Schule des Buddhismus
25
Der Leuchtende
»Ich habe nicht angefangen«, sagte Jack und setzte sich im Schneidersitz zwischen Akiko und Yamato.
»Das ist egal«, beharrte Akiko. »Es geht um das Gesicht.«
»Das Gesicht?«, fragte Jack. Doch bevor Akiko antworten konnte, betraten Diener mit schweren Tabletts die Halle.
Sie verteilten die darauf mitgebrachten Speisen in einer genauen Anordnung auf den Tischen. Schalen mit Misosuppe, gebratenen Nudeln, in Essig eingelegtem Gemüse, verschiedenen Sorten rohen Fisch, weichen, weißen, Tofu genannten Würfeln, dazu kleine, mit einer dunkelbraunen, salzigen Flüssigkeit gefüllte Schälchen – Sojasoße zum Eintunken, erklärte Akiko hilfsbereit – und einige große Portionen gekochten Reis. Jack hatte noch nie so viele verschiedene Arten von Speisen für nur eine Mahlzeit gesehen. Die bloße Anzahl der Schalen zeigte bereits, um was für ein bedeutsames Ereignis es sich handelte.
»Itadakimasu!« , rief Masamoto, als alle Speisen aufgetragen waren.
»Itadakimasu!« , antworteten die Schüler und begannen hungrig zu essen.
Jack wusste angesichts der reichen Auswahl nicht, wo er anfangen sollte. Er nahm die Stäbchen und legte sie sorgfältig in seiner Hand zurecht. Zwar gewöhnte er sich allmählich an sie, aber bei kleinen Bissen hatte er immer noch Schwierigkeiten.
»Du meintest, es gehe um das Gesicht«, sagte er und wählte ein größeres Stück Sushi aus.
Akiko nickte. »Für einen Japaner ist es sehr wichtig, nicht das Gesicht zu verlieren.«
»Wie kann man sein Gesicht verlieren?«, fragte Jack erstaunt.
»Nicht im körperlichen Sinn«, erklärte Yamato, »sondern wie man eine andere Person wahrnimmt. Man muss das Gesicht wahren, denn Gesicht bedeutet Macht und Einfluss. Wer es verliert, der verliert die Achtung der anderen.«
»Der Junge von vorhin hat wegen dir vor seinen Mitschülern das Gesicht verloren«, fügte Akiko hinzu.
»Ah.« Jack zuckte mit den Schultern und zeigte mit seinen Stäbchen auf den Jungen mit der roten Sonne als Wappen. »Wer ist er überhaupt?«
Der Junge starrte ihn an, die Augen zu Schlitzen verengt.
»Lass das!«, schimpfte Akiko.
»Was denn?«
»Mit den Stäbchen auf ihn zeigen. Hast du vergessen, was ich dir beigebracht habe? Das gilt als sehr unhöflich.« Jacks wiederholt taktloses Benehmen brachte sie zur Verzweiflung. »Und lass die Stäbchen auch nicht im Reis stecken!«
»Du meine Güte, warum denn nicht?« Jack zog die Stäbchen erschrocken wieder heraus. Ich werde die japanischen Umgangsformen nie lernen, dachte er. Bei jeder noch so unwichtigen und bedeutungslosen Gelegenheit musste man an so vieles denken.
Jack merkte plötzlich, dass ihn die anderen Schüler an seinem Tisch anstarrten. Er senkte den Blick auf die Schale vor ihm und stocherte mit den Stäbchen darin herum.
»Das würde bedeuten, dass jemand gestorben ist«, sagte Akiko gedämpft und verbeugte sich. »Nur bei einer Trauerfeier lässt man die Stäbchen im Reis stecken. Der Reis wird dann neben den Kopf des Verstorbenen gestellt, damit er in der nächsten Welt keinen Hunger leiden muss.«
»Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«, flüsterte Jack verärgert. »Für euch ist alles, was ich tue, unhöflich. Wenn ihr mal nach England kämt, würde man euer Benehmen dort auch sehr merkwürdig finden. Sogar du würdest bestimmt jemanden kränken!«
»Verzeihung, Jack«, sagte Akiko kleinlaut und verbeugte sich. »Ich entschuldige mich. Es ist meine Schuld, dass ich dir das nicht richtig beigebracht habe.«
»Hör doch auf, dich ständig zu entschuldigen!« Jack stützte verzweifelt den Kopf in die Hände.
Akiko verstummte. Jack hob den Kopf. Die Schüler an seinem Tisch taten so, als hätten sie nichts gehört. Doch Jack spürte, dass sein Ton Akiko gegenüber vollkommen unangebracht gewesen war. Yamato sah ihn böse an, schwieg aber.
»Tut mir leid, Akiko«, murmelte Jack. »Du willst mir ja nur helfen. Aber es ist so schwer, die ganze Zeit wie ein Japaner zu sprechen, zu denken und zu leben.«
»Ich verstehe das, Jack«, antwortete Akiko ausdruckslos. »Iss jetzt bitte.«
Jack probierte der Reihe nach von den verschiedenen Schüsseln, doch das Essen schmeckte ihm nicht mehr. Er schämte sich dafür, dass er Akiko verärgert hatte und, noch schlimmer, vor den anderen ihr gegenüber laut geworden war. Seinetwegen hatte jetzt bestimmt Akiko das Gesicht verloren. Als er wieder aufsah, starrte der Junge mit dem
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