Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
offensichtlich nicht nur verletzen, sondern töten.
Jack ließ sein Bewusstsein fließen wie Wasser.
Mushin.
Instinktiv.
Das Geschrei der Menge trat in den Hintergrund.
Lautlos.
Der auf ihn zukommende Samurai schien stillzustehen.
Fokussiert.
Das Schwert in der Hand wurde eins mit seinem Herzen.
Vergiss das Schwert.
Der Samurai schlug unbarmherzig zu.
Die Zeit verstrich wie in Zeitlupe und Jack wusste auf einmal genau, wohin der Samurai schlagen würde. Er wusste, wann er in den Bogen treten musste, den das Schwert beschrieb, um ihm auszuweichen, und wohin er selbst schlagen musste und wann.
Statt seiner Hand führte Jacks Unterbewusstsein das Schwert.
Er handelte intuitiv.
Drei rasche Schläge und das Duell war beendet.
Mit derselben Genauigkeit, mit der einst Sensei Hosokawa das Reiskorn auf Yamatos Kopf gespalten hatte, schnitt Jack durch Obi, Hose und Stirnband des Samurai.
Zuerst fiel der Gürtel zu Boden.
Dann rutschte die Hose hinunter.
Zuletzt flog das Stirnband durch die Luft. Jack hatte das Skorpionwappen akkurat in zwei Hälften getrennt.
Brüllend hob der Samurai sein Schwert zum Vergeltungsschlag.
»Das erste Blut ist geflossen!«, rief Masamoto und trat rasch zwischen die beiden, um den Kampf zu beenden.
Der Samurai starrte ihn ungläubig an. Jack hatte ihm mit seiner Schwertspitze die Stirn geritzt und ein kleiner Blutfaden lief an ihr hinunter.
»Verzeihung«, sagte Jack und verbeugte sich, um sein Grinsen zu verbergen. »Ich wollte Sie nicht verletzen.«
Ein Zuschauer begann zu lachen.
Ein zweiter fiel ein und dann ein dritter. Bald lachten alle lauthals und die Frauen zeigten mit dem kleinen Finger auf den besiegten Samurai. Erst jetzt merkte er, dass ihm seine Hose um die Knöchel hing und er nackt war. Zutiefst beschämt über den Gesichtsverlust sah er sich um, zog die Reste der Hose hoch und entfernte sich fluchtartig.
Freunde und eine ganze Traube anderer Schüler der Niten Ichi Ry ū umringten Jack begeistert, um ihm zu gratulieren.
Nur wenig von dem, was sie sagten, drang bis zu Jack durch. Er war in Gedanken noch bei dem Duell. Er beherrschte jetzt mushin oder hatte es zumindest einmal erfahren. Und wichtiger noch, einen kurzen Moment lang hatte er das Schwert mit dem Herzen geführt. Es war zu einem Teil von ihm geworden.
Das Schwert war tatsächlich die Seele des Samurai.
Die Menge machte Platz, um Masamoto und Sensei Hosokawa durchzulassen.
»Eine meisterhafte List, Jack-kun«, bemerkte Masamoto. »Auch ich bin darauf hereingefallen. Wenn man seinen Gegner nicht körperlich besiegen kann, muss man ihn überlisten. Du hast dir meine Achtung wahrhaftig verdient.«
»Das freut mich sehr, Masamoto-sama«, antwortete Jack mit einer Verbeugung und war dankbar, dass seine Lüge ihm offenbar verziehen war.
Als er sich aufrichtete, stand Sensei Hosokawa vor ihm. Er musterte Jack mit einem durchdringenden Blick und zog nachdenklich an seinem Bart. Dann lächelte er breit und stolz.
»Du bist bereit, Jack-kun. Du hast gezeigt, dass du den Weg des Schwertes wirklich beherrschst.«
51
Kunoichi
Der Abend war ungewöhnlich warm und im Zimmer war es stickig. Jack schwitzte. Mit den Händen tastete er nach dem Portolan seines Vaters.
Vom großen Saal des Palastes von Daimyo Takatomi hörte man die hohen, luftigen Töne einer Bambusflöte und vibrierende Lautenklänge. Dort hatte sich eine festliche Gesellschaft versammelt, um den Abschluss des Kreises der Drei zu feiern.
»Er ist weg!«, flüsterte Jack in wachsender Panik.
»Ganz sicher?«, fragte Yamato.
»Ja. Ich habe ihn auf den oberen Sims gelegt und da ist er nicht mehr.« Jack tauchte hinter dem seidenen Behang mit dem Kranich auf, der an der Wand des Empfangszimmers hing.
»Lass mich nachsehen«, erbot sich Akiko. Sie stieg auf das Podium aus Zedernholz und spähte in die Nische.
Sie waren unbemerkt aus dem Saal geschlüpft, in dem die Feier stattfand. Saburo und Kiku kümmerten sich inzwischen um Yori. Die drei Freunde wollten den Portolan holen und zurückkehren, bevor jemand ihre Abwesenheit bemerkte. Masamoto hatte beschlossen, sich das Logbuch anzusehen. Jack sollte es ihm am nächsten Vormittag bringen. Jack hatte zugestimmt, aber nicht gesagt, wo er es aufbewahrte, um den Samurai nicht noch mehr zu verstimmen.
Jetzt freilich sah es so aus, als seien sie zu spät gekommen. Drachenauge hatte das Buch bereits gestohlen.
»Aber wie hat er es geschafft, trotz der Sicherheitsvorkehrungen in die Burg
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