Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
Unterricht.
»Als Samurai dürft ihr euch nicht von dem blenden lassen, was ihr seht. Wenn ihr euren Gegner besiegen wollt, müsst ihr alle eure Sinne einsetzen – das Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken und Riechen. Ihr müsst jederzeit eins mit eurem Körper sein, das Gleichgewicht halten und wissen, wo sich jedes Körperglied im Verhältnis zu den anderen befindet.«
Der Sensei wandte sich Jack zu und sah ihn mit seinen neblig grauen Augen an. Jack hatte das beunruhigende Gefühl, als blicke der Sensei in sein Innerstes.
»Du hast gefragt, wie ich deinen Freund retten konnte, obwohl ich doch nichts sehe, Jack-kun. Ganz einfach. Ich habe seine Panik gespürt. Mein Stock hat sich bewegt, bevor er fiel. Ich hörte seinen Fuß ausrutschen und ihn selbst schreien, also wusste ich genau, wo er war. Schwierig war nur zu verhindern, dass er auf einem von euch landete.«
Die Schüler lachten leise.
»Aber wie kann man gegen einen Gegner kämpfen, den man nicht sieht?«, fragte Kazuki misstrauisch.
»Ich werde es dir zeigen«, antwortete Sensei Kano und wandte seinen trüben Blick Kazuki zu. »Dein Name?«
»Oda Kazuki, Sensei.«
»Gut, Kazuki-kun, wenn es dir gelingt, mir meinen Inro wegzunehmen, ohne dass ich es merke, gehört er dir.«
Kazuki grinste. Der kleine Behälter hing lose am Gürtel des Sensei – eine leichte Beute selbst für einen ungeschickten Dieb.
Kazuki verließ die Reihe der Schüler und näherte sich leise dem Sensei. Bei Nobu angelangt, bedeutete er ihm und einem anderen Burschen, einem mageren, drahtigen, an eine Stabheuschrecke erinnernden Jungen namens Hiroto, ihm zu folgen. Er setzte seinen Weg fort, während Nobu und Hiroto nach rechts und links ausschwärmten. Aus verschiedenen Richtungen näherten sie sich Sensei Kano.
Sie waren noch vier Schritte von ihm entfernt, da ließ Sensei Kano seinen Stock kreisen. Er erwischte Hiroto am Knöchel und schlug ihm die Füße unter dem Körper weg. Als Nächstes stieß er den Stock Nobu zwischen die Beine, schlug sie auseinander und versetzte Nobu noch einen Stoß in den Magen. Nobu ging erschrocken zu Boden. Zuletzt griff der Sensei, ohne zu zögern, auch noch Kazuki an und schlug mit seinem Stock nach dem Hals des Jungen.
Kazuki erstarrte und schluckte hörbar vor Panik. Das Stockende kam unmittelbar vor seinem Adamsapfel zum Stehen.
»Gute Idee, zu dritt zu arbeiten, Kazuki, aber dein Freund da drüben riecht nach drei Tage altem Sushi.« Sensei Kano wies mit einem Nicken auf Hiroto, der noch am Boden lag. »Du selber atmest so laut wie ein frisch geschlüpfter Drache und der andere Junge trampelt wie ein Elefant!« Er zeigte auf Nobu, der ebenfalls auf der Erde lag und sich den Bauch hielt.
Die anderen Schüler begannen unbeherrscht zu kichern.
»Genug!«, befahl Sensei Kano und sofort herrschte Schweigen. »Wir müssen mit dem Unterricht beginnen, sonst lernt ihr nie, blind zu kämpfen. Verteilt euch so, dass ihr genügend Platz habt, euren b ō zu schwingen.«
Die Schüler verteilten sich gehorsam über den steinernen Hof.
»Zuerst müsst ihr euch mit dem Gewicht und dem Gefühl des Stocks in eurer Hand vertraut machen. Lasst eure Stöcke kreisen, wie ich es vormache.«
Sensei Kano packte seinen Stock mit der rechten Hand in der Mitte und streckte den Arm aus. Dann ließ er ihn kreisen, wobei er ihn abwechselnd mit beiden Händen hielt. Er begann langsam und wurde immer schneller, bis der Stock nur noch verschwommen rechts und links von seinem Körper zu sehen war.
»Wenn ihr diese Übung einigermaßen sicher beherrscht, schließt die Augen. Lernt die Bewegung zu spüren, statt ihr mit den Augen zu folgen.«
Die Schüler hoben ihre Stöcke und bewegten sie im Kreis. Einige stellten sich ungeschickt an und ließen sie gleich wieder fallen.
»Fangt langsam an und lernt zuerst, die Hände richtig zu bewegen«, riet der Sensei.
Jack fiel es zunächst schwer, die Hände zu wechseln. Er hatte zu wenig geschlafen und bewegte sich schwerfällig und unbeholfen.
Yamato wiederum schien mit dem Stock in den Händen geboren worden zu sein. Er hatte die Augen bereits geschlossen.
»Sehr gut, Yamato-kun«, lobte Sensei Kano, der hörte, wie Yamatos Stock pfeifend durch die Luft fuhr. Yamato lächelte. Dadurch, dass er mit dem Stock von allen Schülern am besten zurechtkam, hatte er den Gesichtsverlust beim Überqueren der Klamm wieder ausgeglichen.
Doch auch Jack hatte es bald heraus, den Stock kreisen zu lassen, wenn auch mit einer
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