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Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)

Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)

Titel: Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Bradford
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Tempelgong aus seiner Brust kam.
    Die Schüler versammelten sich um ihn. Jack ging mit Yamato und Akiko noch einige Schritte weiter. Vor ihnen teilte eine Klamm den Wald und tief unter ihnen strömte ein reißender Bach dahin. Über den Abgrund ragten, von schimmerndem Wasserdunst eingehüllt, die Reste einer Fußgängerbrücke.
    »Wie sollen wir hinübergelangen, Sensei?«, fragte Yamato.
    »Gibt es denn keine Brücke?«, erwiderte Sensei Kano.
    »Hai, Sensei«, antwortete Yamato verwirrt, »aber sie ist kaputt.«
    Sensei Kano hob den Blick zum Himmel, als lauschte er auf ein fernes Geräusch. Dann sagte er: »Und der Stamm?«
    In einiger Entfernung von der Brücke lag quer über der Schlucht der Stamm einer kleinen gefällten Zeder. Man hatte die Äste abgeschlagen und ihn entrindet.
    »Aber Sensei«, Yamatos Stimme zitterte ein wenig, »der Stamm ist kaum einen Fuß breit … mit Moos bedeckt … und nass … man kann leicht ausrutschen und fallen.«
    »Unsinn. Ihr werdet ihn als Brücke benutzen. Und du gehst zuerst, Yamato. Du bist doch Masamotos Sohn, nicht wahr?«
    Yamatos Mund klappte auf und er wurde blass. »Hai, Sensei«, antwortete er kraftlos.
    »Gut, dann geh voraus!«
    Der Sensei gab Yamato einen kleinen anspornenden Stoß mit seinem Stock und Yamato machte einige zögernde Schritte. Am Rand der Klamm blieb er stehen.
    »Warum gehst du nicht weiter?«, fragte Sensei Kano.
    »T… T… Tut mir leid … Sensei«, stotterte Yamato, »ich kann nicht.«
    Jack wusste, dass sein Freund Höhenangst hatte. Er hatte es entdeckt, als sie während des Schulwettbewerbs den ›Geräusch-von-Federn‹-Wasserfall hinaufgeklettert waren. Jetzt erging es Yamato offenbar ähnlich wie damals.
    »Unsinn«, erwiderte Sensei Kano. »Wenn die Höhe dir Angst macht, sieh einfach nicht hin.«
    »Wie? Ich soll die Augen zumachen?« Yamato wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    »Ja. Dann bist du blind für deine Angst.«
    Die Schüler sahen den Lehrer entsetzt an. Die Vorstellung, über den Baumstamm balancieren zu müssen, war schon schrecklich genug. Das Ganze auch noch mit geschlossenen Augen zu tun, war der nackte Wahnsinn!
    »Es ist nicht gefährlich«, sagte Sensei Kano. »Ich kann auch als Erster gehen.« Er streifte die Sandalen ab und hängte sie an seinen Stock. »Es wäre allerdings hilfreich, wenn mir jemand zeigen könnte, wo der Stamm liegt.«
    Die Schüler wechselten verwirrte Blicke. Der Stamm war doch deutlich zu sehen. Eine kurze Pause entstand, dann zeigten einige Schüler auf den provisorischen Übergang.
    »Zeigen hilft mir nicht«, erklärte Sensei Kano. »Ich bin blind.«
    Jack starrte ihn genauso fassungslos an wie die anderen. Sensei Kano hatte sie ohne einen Führer hierhergebracht und kein einziges Mal nach der Richtung gefragt. Wie konnte er blind sein?
    Jack betrachtete den neuen Lehrer zum ersten Mal genauer. Er war von imposanter Größe und überragte die meisten Japaner wohl um einen Kopf. Bei näherer Betrachtung fiel Jack allerdings auf, dass Sensei Kanos Augen nicht von Natur aus grau waren, sondern trübe, als sei Seenebel in sie hineingesickert.
    Akiko fasste sich als Erste. »Entschuldigen Sie, Sensei. Der Stamm liegt etwa zweieinhalb Meter vor Ihnen und dreieinhalb Meter nach links versetzt.«
    »Danke.« Der Sensei trat an den Rand der Klamm, als könnte er ihn sehen.
    Er ertastete die Kante mit seinem Stock und folgte ihr nach links, bis er den umgestürzten Baum berührte. Ohne zu zögern, betrat er ihn. Er hielt den Stock balancierend vor sich und ging mit einigen wenigen, sicheren Schritten hinüber.
    »Der Unterricht hat soeben angefangen«, rief er ihnen von der gegenüberliegenden Seite zu. »Wer mit den Augen des Herzens sieht statt mit denen des Kopfes, braucht nichts zu fürchten.«
    Wie zur Antwort auf diese weisen Worte brach ein Sonnenstrahl durch das Blätterdach und zauberte einen kleinen Regenbogen in den Dunstschleier über der Klamm.
    »Jetzt seid ihr dran.«

16
Mugan Ry ū
    Das Tosen des Baches dröhnte Jack in den Ohren. Ein wenig ängstlich bewegte er sich mit geschlossenen Augen über den Abgrund.
    Er sah die Schlucht nicht, die wie das aufgerissene Maul eines Hais unter ihm klaffte. Doch mit jedem weiteren Schritt ins Unbekannte wuchs seine Zuversicht. Auf der Alexandria war er Mastaffe gewesen. Er umklammerte den glitschigen Stamm mit den Fußsohlen wie eine Rah.
    Jack wusste, dass er sich auf seine anderen Sinne verlassen musste, solange er nichts sah.

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