Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
Kimono aus tiefroter Seide, den Akikos Mutter ihm bei seiner Abreise aus Toba geschenkt hatte. Darauf war mit einem dünnen Goldfaden, der bei jeder Bewegung das Licht fing, das Phönixwappen Masamotos aufgestickt. Im Vergleich zu Akiko war Jack allerdings bescheiden gekleidet. Akiko hatte sich eine purpurrote Orchidee in die Haare gesteckt und trug einen herrlichen, gelb, grün und blau schimmernden Kimono, der aus Hunderten von Schmetterlingsflügeln zusammengesetzt schien.
»Warum wurde die Glocke heute hundertundacht Mal geschlagen?«, fragte Jack, während sie auf den ersten Segen des Jahres warteten. Die buddhistischen Rituale waren ihm als Christen immer noch fremd.
Akiko antwortete nicht. Jack sah sie an und merkte, dass sie in Gedanken anderswo war. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, ihr Gesicht wirkte bleicher als sonst.
»Ist was?«, fragte er leise.
Akiko zuckte zusammen und kehrte in die Gegenwart zurück. »Nein, alles in Ordnung.«
Jack musterte sie besorgt und sie lächelte. Doch ihre Augen glänzten feucht.
Yori war mit den viel zu langen Ärmeln seines Kimonos beschäftigt. Er beantwortete Jacks Frage. »Die Buddhisten glauben, dass es hundertundacht Sünden oder Begierden des Menschen gibt. Mit jedem Glockenschlag wird eine Sünde ausgelöscht und die Schuld des alten Jahres vergeben.«
Eine seltsame Art der Vergebung, dachte Jack skeptisch. Er war in dem Glauben aufgewachsen, nur Gott und Christus könnten Sünden vergeben.
Der Glockenschlag schien in seinem Kopf weiterzudröhnen. Doch dann merkte er, dass Sensei Yamada sanft gegen eine große Messingschale schlug und zugleich auf einem Holzbrett einen hypnotischen Rhythmus klopfte. Mit einem leisen Singsang wandte er sich nacheinander an jeden einzelnen Schüler. Die Schale gab einen klingenden Ton von sich, der endlos im Kreis zu wandern schien.
Nach einer Weile war die Reihe an ihnen, gesegnet zu werden. »Mach mir einfach alles nach«, flüsterte Akiko.
Jack hatte überlegt, ob er überhaupt an der buddhistischen Zeremonie teilnehmen sollte. Doch angesichts der wachsenden Feindseligkeit gegenüber Christen und Ausländern durfte er nicht unnötig auffallen. Vielleicht konnte er die anderen ja durch seine Bereitschaft, solche Zeremonien mitzumachen, besänftigen. Außerdem erinnerte er sich an Sensei Yamadas Worte: Alle Religionen seien Fäden desselben Teppichs, nur in verschiedenen Farben.
Er sah aufmerksam zu, wie Akiko zu einer großen, mit Sand gefüllten Schale trat, aus einer Schachtel daneben ein Räucherstäbchen nahm, es an einer Kerze anzündete und zu dem Meer der bereits brennenden Stäbchen in der Schale steckte. Die Schale ähnelte einem großen, rauchenden Nadelkissen. Akiko verbeugte sich zweimal vor dem bronzenen Buddha, klatschte zweimal in die Hände und verbeugte sich noch ein letztes Mal. Dann winkte Sensei Yamada sie zu sich. Sie kniete vor ihn hin, verbeugte sich wieder und überreichte dem Mönch ihre Orchidee als Geschenk.
Beschämt fiel Jack ein, dass er keine Opfergabe für den Buddha mitgebracht hatte. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, war er an der Reihe. Er trat zu der Schale. Ein Schwall harzig duftender Weihrauch stieg ihm in die Nase. Er wiederholte das Ritual, das Akiko vollzogen hatte, und kniete anschließend vor Sensei Yamada.
»Ich bitte um Verzeihung, Sensei«, sagte er mit einer entschuldigenden Verbeugung, »aber ich habe kein Geschenk mitgebracht.«
»Das macht nichts, Jack-kun, du kennst unsere Bräuche eben noch nicht alle«, sagte der alte Mönch und lächelte ihn heiter an. »Das schönste Geschenk, das du geben kannst, ist ein aufrichtiges und ehrliches Herz. Ich weiß, dass du genau damit soeben vor den Altar getreten bist, und werde dir im Gegenzug dafür den Segen für das kommende Jahr erteilen.«
Er stimmte einen Sprechgesang an, der Jack warm und einlullend einhüllte.
Wie der leise Regen die Bäche füllt,
in die Flüsse fällt und sich in den Meeren verbindet …
Sensei Yamadas Murmeln verschmolz mit den Klängen der Schale und Jack spürte, wie ihm die Augen zufielen …
… so fließe die Kraft deiner Güte in jedem Augenblick,
um alle Wesen zu wecken und zu heilen …
In seinen Ohren hallte das monotone hölzerne Klopfen wider. Sein Körper vibrierte und er begann zu treiben …
… die jetzt Lebenden, die uns Vorangegangenen und die auf uns Folgenden. 5
Jack öffnete die Augen. Er war ganz ruhig geworden und von einer tiefen Freude
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