Samurai 3: Der Weg des Drachen
und verschwand wieder. Masamoto nahm seine Tasse, schien aber zu tief in Gedanken, um zu trinken.
»Wir wissen, dass er für alle, die Christen einer sogenannten gerechten Strafe zuführen, eine Belohnung ausgesetzt hat. Daimyo Takatomi, der selbst erst vor Kurzem zum Christentum übergetreten ist, war darüber beunruhigt. Ich habe mir allerdings um deine persönliche Sicherheit keine Sorgen gemacht, Jack-kun. Was Daimyo Kamakura in Edo beschließt, gilt nicht für Kyoto und die anderen Provinzen. Mit ronin habe ich allerdings nicht gerechnet.«
»Ronin?«, fragte Jack.
»Herrenlose Samurai.« Masamoto nippte an seinem Tee, doch war der für seinen Geschmack schon zu sehr abgekühlt. »Als der Bürgerkrieg mit der Schlacht am Nakasendo vor zehn Jahren endete, wurden viele Soldaten arbeitslos. Ronin suchen sich einen Daimyo, dem sie dienen und für den sie kämpfen und notfalls sterben können. Wofür sie kämpfen, spielt selten eine Rolle, solange sie genug zu essen haben und eine Fahne tragen können.«
Masamoto stellte seine Tasse ab und musterte Jack. Er seufzte müde und faltete die Hände unter dem Kinn, als sei er unschlüssig, ob er Jack eine beunruhigende Nachricht mitteilen sollte.
»Daimyo Kamakura ruft jetzt offen zu den Waffen«, eröffnete er Jack schließlich. »Er rekrutiert ronin und ashigaru und wirbt um die Unterstützung sympathisierender Daimyos. Über seine Absichten besteht kein Zweifel. Ich bin über diese Entwicklung sehr besorgt.«
»Meinen Sie, ich soll das Land verlassen?«, fragte Jack hoffnungsvoll und ängstlich zugleich.
Er träumte davon, nach England zurückzukehren. Allein hatte er keine Chance, die lange Reise nach Südwesten zur Hafenstadt Nagasaki zu überstehen. Anders war es mit Masamotos Hilfe, wenn sein Vormund ihn führte und beschützte. Doch Jack schwankte, ob er überhaupt schon jetzt gehen sollte. Er war noch nicht bereit. Er hatte die Technik der beiden Himmel noch nicht gelernt und Drachenauge nicht besiegt. Vor allem aber musste er sich den Portolan seines Vaters zurückholen, obwohl ihm allmählich Zweifel kamen, ob ihm das je gelingen würde. Masamoto hatte noch nichts über den Verbleib des Logbuches in Erfahrung bringen können.
»Nein!«, rief Masamoto heftig. »Daimyo Kamakura wird dich nicht aus diesem Land vertreiben können. Du bist mein Adoptivsohn und gehörst zu meiner Familie. Du bist ein Samurai!«
Jack erschrak über den leidenschaftlichen Ausbruch seines Vormunds. Das war der zweite Grund, der ihn in Japan hielt: Er hatte hier eine Familie gefunde n – in Masamoto eine Art Vater und in Yamato einen Bruder, in Yori und Saburo gute Freunde. Und Akiko war so sehr ein Teil seines Lebens geworden, dass er sich ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen konnte. Japan war ihm vertraut geworden, hatte einen Platz in seinem Herzen gefunden, und die Vorstellung, es zu verlassen, fiel ihm täglich schwerer.
»Außerdem«, fuhr sein Vormund fort, »habe ich den Verdacht, dass hinter Daimyo Kamakuras Feldzug viel mehr steckt als nur der Hass auf Ausländer.«
Jack sah Masamoto neugierig an. Er war dem Daimyo schon begegnet und hatte seine Grausamkeit und Machtgier kennengelernt. Damals hatte er als Augenzeuge erlebt, wie ein Samurai des Daimyo einen alten Teehändler geköpft hatte, nur weil der Alte den Befehl, sich vor dem vorbeifahrenden Daimyo Kamakura zu verbeugen, nicht gehört hatte. Konnte der Daimyo etwas noch Schlimmeres im Schilde führen als die Verbannung und Ermordung aller Ausländer?
»Aber ich werde heute Abend zu allen darüber sprechen. Jetzt muss ich mich um die Bestrafung der drei ashigaru kümmern, die dich entführt haben.«
Masamoto erhob sich und nahm seine beiden Schwerter auf.
»Werden Sie die Männer töten?«, fragte Jack. Er war nicht sicher, ob er die Antwort überhaupt wissen wollte.
»Ich habe es ernsthaft in Erwägung gezogen. Doch Sensei Yamada hat mich überzeugt, dass sie uns als Boten nützlicher sind. Alle, die ihnen begegnen, werden wissen, dass die Verfolgung von Ausländern in der Provinz Kyoto nicht geduldet wird.«
»Was haben Sie mit ihnen vor?«
»Ich sage nur, dass sie nach ihrer Bestrafung nur noch bis acht zählen könne n – sowohl mit den Fingern wie mit den Zehen!«
19
Eine düstere Botschaft
»Der Krieg hängt wie eine Gewitterwolke am Horizont«, rief Masamoto.
Im Speisesaal, der nach den bemalten Wänden Halle der Schmetterlinge genannt wurde, kehrte Totenstille ein. Wie erstarrt knieten
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