Samurai 3: Der Weg des Drachen
zukehrte und zu den felsigen Höhen auf der anderen Seite der Schlucht hinüberstarrte. Das Teehaus von Kameyama, in dem sie saßen, stand auf einem Bergrücken neben dem Tokaido. Der spektakuläre Ausblick zog zahlreiche Besucher aus Kyoto an. Jetzt, am Ende eines herrlichen Sommertags, war das Teehaus voll besetzt mit Reisenden, die den Sonnenuntergang über dem zerklüfteten Gebirge beobachteten.
Jack spielte missmutig mit dem Messer des toten Ninjas. Der kleine getrocknete Blutfleck auf dem blitzenden Stahl bezeichnete die Stelle, an der er sich am Tag zuvor in den Daumen geschnitten hatte. Nachdem der Ninja mit der Giftkapsel Selbstmord begangen hatte, hatte Jack beschlossen, das Messer zu behalten. Seit seinem Rausschmiss aus der Schule besaß er keine Waffe mehr.
Er machte Masamoto keine Vorwürfe, dass er ihn vom Unterricht ausgeschlossen hatte. Inzwischen hatte er begriffen, dass es dumm gewesen war, den Portolan seines Vaters vor dem einzigen Menschen zu verstecken, bei dem er sicher aufgehoben war, auch wenn er sich eingeredet hatte, dass es für Masamoto besser war, nichts davon zu wissen. Er hatte seinem Vater schwören müssen, niemandem von der Existenz des Logbuchs zu erzählen, und sein Vater hatte ihm als Einzigem den Code anvertraut, der den Inhalt vor unbefugten Augen schützte.
Der Portolan war nicht nur Jacks letzte Verbindung mit seinem Vater, von ihm hing auch seine ganze Zukunft ab. Er musste ihn unbedingt zurückholen. Sollte er eines Tages in die Hafenstadt Nagasaki kommen, konnte er sich dank seiner Erfahrung als Mastaffe und seiner Kenntnisse als Steuermann vielleicht damit auf einem nach England fahrenden Schiff verdingen. In England aber wartete seine kleine Schwester Jess auf seine Rückkehr.
Oder wenigstens hoffte er das. Jess hatte keine Angehörigen mehr, ihre Zukunft war daher so ungewiss wie seine. Doch mit dem Portolan konnte er sie beide versorgen. Er konnte sich jederzeit als Steuermann auf einem Schiff verdingen, wie sein Vater es getan hatte, bis Drachenauge ihn kaltblütig ermordet hatte.
Beim Gedanken daran, wie Drachenauge seinen Vater erwürgt hatte, begann der tödliche Stahl des Messers in Jacks Hand gleichsam zu pochen. Jack verspürte Rachegelüste. Alles, was ihm etwas bedeutete, hatte der Ninja ihm gewaltsam genomme n – seinen Vater, den Portolan und fast auch noch Akikos Leben.
Als Jack und sein Vater vor vier Jahren auf der Alexandria von England aufgebrochen waren, hatten sie davon geträumt, neue Länder zu entdecken, reich zu werden und als gefeierte Helden nach Hause zurückzukehren. Nicht im Entferntesten hätte Jack gedacht, dass es ihn ganz allein in ein gefährliches fremdes Land verschlagen würde, wo er von einem berühmten Schwertmeister zum Samurai ausgebildet werden würde.
Mit der Ausbildung zum Samurai war es allerdings jetzt vorbei.
»Wo hast du das Messer her?«, fragte der Wirt des Teehauses, als er ihren Tisch abräumte.
»Wir haben e s … im Wald gefunden«, antwortete Jack, überrascht über die Frage.
Der Wirt musterte ihn mit seinen kleinen, schwarzen Augen so eingehend, dass Jack unbehaglich zumute wurde. Er spürte, dass der Wirt ihm nicht glaubte.
»Weißt du, was das ist?«, wollte der Wirt wissen. Er starrte Jack unverwandt an, als wollte er das Messer gar nicht sehen.
»Ein Kampfmesse r …«
»Schon, aber nicht irgendeines.« Der Wirt trat näher und senkte die Stimme. »Dieses Messer stammt von dem Schwertschmied Kunitome-san.«
»Das wissen wir«, fiel Yamato ein. Offensichtlich ärgerte ihn die Neugier des Wirtes. »Der Name steht auf der Klinge.«
»Ihr wisst es! Und trotzdem behaltet ihr es?«
»Warum nicht?«, fragte Jack. Die seltsamen Fragen des Wirtes verwirrten ihn.
»Ihr habt doch bestimmt gehört, dass Kunitome-sans Schwertern ein böser Geist innewohnt. Sie gehören nicht in die Hand eines tugendhaften Samurai.« Er sah Yamato an. »Kunitome-sans Schwerter sind in dieser Gegend berüchtigt. Er wohnt nur zehn ri westlich von hier in dem Dorf Shindo.«
Als der Wirt das Dorf erwähnte, warf Jack Akiko und Yamato einen vielsagenden Blick zu. Auch die beiden sahen sich erstaunt an. Ein solches Zusammentreffen war mehr als Zufall.
»Kunitome-san ist ein gewalttätiger, jähzorniger Mensch«, sagte der Wirt leise. »Einige halten ihn sogar für verrückt. Und denselben Charakter besitzen auch seine Schwerter. Eine Waffe wie dein Messer lechzt nach Blut und treibt ihren Besitzer zum Mord!«
Jack starrte auf
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