Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
uns im Unterricht mit der Kunst der Heimlichkeit, der vielleicht wichtigsten Fähigkeit, die du erlernen musst.«
Ein Felsen geriet plötzlich in Bewegung und verwandelte sich in Tenzen. Ein anderer Junge trat aus einem Gebüsch, zwei weitere Ninja kamen hinter Bäumen hervor. Andere Schüler standen aus dem Gras auf. Zuletzt ließ sich Miyuki lautlos wie ein Gespenst neben ihm herunterfallen. Jack zuckte erschrocken zusammen.
»Du bist vielleicht schreckhaft!«, spottete Miyuki.
Jack hatte sich wieder gefasst und lächelte freundlich. »Ich spiele bestimmt nicht Verstecken mit dir!«
»Die Schüler üben sich in gotonpo, der Kunst des Verbergens«, erklärte Soke. » Ninjutsu beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Ausweichen und Fliehen. Aber am besten ist es, gar nicht erst gesehen zu werden.«
Soke bedeutete Tenzen, zum Rand der Lichtung zurückzukehren.
»Wenn der Ninja dem Ring der Erde folgt, verschmilzt er mit seiner Umgebung. Sieh, wie Tenzen eins wird mit dem Baum und verschwindet.«
Obwohl Jack wusste, wo Tenzen stand, konnte er ihn kaum noch erkennen. Tenzen sah aus wie eine Verdickung des Stamms.
»Wenn es keine Deckung gibt«, fuhr Soke fort, »muss man die Umrisse seines Körpers verändern. Die menschliche Gestalt ist leicht zu erkennen. Lerne also, deine Gestalt zu wandeln. Sieh zu, wie Tenzen zu einem Stein wird.«
Tenzen trat hinter dem Baum hervor, kauerte sich auf den Boden, schlang die Arme um den Leib und erstarrte. Im Morgengrauen hätte Jack ihn nicht bemerkt.
»Jetzt versuche du es«, wies Soke ihn an.
Jack ging zu Tenzen und hockte sich neben ihn. Er nahm dieselbe geduckte Haltung ein und versuchte ganz stillzuhalten. Einen Augenblick später hörte er einen Schüler kichern. Er hob den Kopf. Es war der Junge, der sich im Gebüsch versteckt hatte. Er war ungefähr in Jacks Alter, ziemlich mager und hatte kurz geschorenes Haar, schmale Lippen und harte, böse Augen.
»Der Neue schafft es nicht!«, rief er hämisch. »Er sieht aus wie ein großer weißer Rettich, der noch im Boden steckt!«
»Du hast etwas Wichtiges angesprochen, Shiro«, stellte Soke fest und bedachte den Jungen mit einem strengen Blick. »Deine blonden Haare verraten dich, Jack. Bedecke sie in Zukunft. Außerdem darfst du deinen Gegner nie ansehen, während du dich versteckst. Er spürt deine Gegenwart sonst instinktiv.«
Jack nickte. Sein Aussehen machte ihn plötzlich verlegen. Vielleicht war er doch besser zum Samurai geeignet als zum Ninja. Soke bedeutete ihm und Tenzen, sich zu den anderen Schülern zu stellen.
»Man kann sich überall verstecke n – hinter Mauern, unter Büschen, in Wasserfässern, unter Böden und sogar dort, wo es kein Versteck gibt. Habe ich euch erzählt, wie ich einmal auf offenem Feld von einem Trupp Samurai verfolgt wurde?«
»Wie bist du ihnen entkommen?«, fragte Hanzo wie auf ein Stichwort.
»Ich habe ganz einfach so getan, als sei ich eine Vogelscheuche!«
Die Schüler lachten und Jack begriff, dass sie die Geschichte nicht zum ersten Mal hörten.
»Samurai sind ja so dumm«, hörte er Miyuki neben sich murmeln. Zu gern hätte er die Ehre der Samurai verteidigt, doch hielt er es in dieser Gesellschaft für klüger zu schweigen. Allerdings überraschte ihn, wie sehr Miyuki die Samurai zu hassen schien.
»Doch das beste Versteck liegt in der Höhe, wie du selbst weißt, Jack«, fuhr Soke fort. »In einem Baum oder auf einem Dach. Die Menschen blicken selten nach oben.«
Er wandte sich an die ganze Klasse.
»Allerdings können wir uns nicht die ganze Nacht verstecken, deshalb muss ein Ninja auch shinobi-aruki lernen, das lautlose Gehen. Zeige es uns bitte, Miyuki.«
Miyuki duckte sich und überquerte die Lichtung mit kurzen, schleichenden Schritten. Sie machte dabei keinerlei Geräusch, nicht einmal im hohen Gras.
»Achtet darauf, wie Miyuki immer mit den Zehenspitzen zuerst auftritt. So kann sie Hindernisse ertasten und ihnen aus dem Weg gehen. Erst dann verlagert sie ihr ganzes Gewicht auf die Zehen und achtet darauf, dass dabei kein Geräusch entsteht. Zuletzt tritt sie mit dem Fuß seitlich auf, bis die Ferse den Boden berührt. Erst dann erfolgt der nächste Schritt.«
Miyuki trat in den Bach. Zu Jacks Erstaunen war nicht das leiseste Plätschern zu hören.
»Wenn man durch Wasser geht«, erklärte Soke, »muss man mit gestrecktem Fuß wie mit einem Speer eintauchen und darf überdies den hinteren Fuß nicht durch das Wasser ziehen. Man muss ihn erst ganz aus
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