Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
ein ganz gewöhnliches Dorf. »Wo?«, fragte er.
»Ein Ninja ohne Augen ist wie ein Vogel ohne Flügel«, schalt Soke. »Sieh genauer hin. Wenn du das Dorf angreifen wolltest, was für Schwierigkeiten hättest du?«
Jack studierte die Lage des Dorfs mit dem Blick des Angreifers. »Es liegt in einem steilen Tal«, begann er. »Man könnte es also nicht auf breiter Front angreifen.«
Soke nickte. »Gut. Was noch?«
»Eine einzige Straße führt hindurch, ansonsten gibt es nur die vielen Wege zwischen den Reisfeldern.«
»Richtig. Und wie du bestimmt gemerkt hast, sind die Wege sehr schmal.«
»Damit immer nur eine Person darauf gehen kann?«, fragte Jack.
»Genau!« Soke stieß seinen Stock voller Genugtuung auf den Boden. »Das Dorf ist so angelegt, dass eine Armee nur sehr schwer eindringen kann. Shonins Haus liegt in der Mitte der Reisfelder, die ein Labyrinth bilden. Flutet man sie, wird daraus ein riesiger Burggraben. Das Haus und der Platz davor liegen erhöht und lassen sich dadurch leichter verteidigen. Bambuszaun und Dornenhecke bilden eine weitere Barriere. Du siehst, wir haben Lage und Umgebung zu unserem Vorteil genutzt. Das ist ein Beispiel dafür, wie Ninja den Ring der Erde anwenden.«
Erstaunt betrachtete Jack das Dorf, das sich vor seinen Augen von einer harmlosen Siedlung in eine Festung verwandelt hatte.
»Komm mit.« Soke ging zu einem kleinen Bach. »Auf dem Ring des Wassers gründet eine eigene Disziplin des ninjutsu , genannt sui-ren, Wassertraining. Ein Ninja muss nicht nur schwimmen können, sondern auch lernen, Wasser als Waffe einzusetzen und zur Flucht und zum Überleben zu nutzen. Du wirst die entsprechenden Techniken zu gegebener Zeit kennenlernen. Zuerst musst du allerdings verstehen, welcher Gedanke dem Ring des Wassers zugrunde liegt.«
Er zeigte auf einen umgestürzten kleinen Baumstamm. »Lege ihn quer über den Bach.«
Jack zog den Stamm über den Bach, sodass er das Wasser staute.
»Was bewirkt der Stamm?«, fragte Soke.
»Er staut das Wasser.«
»Wirklich?«
Sie sahen zu, wie das Wasser hinter dem Stamm anstieg. Nach einer Weile lief es um seine Enden herum und schwappte darüber.
»Was lernst du daraus?«, fragte Soke.
Jack überlegte. »Dass ich wohl einen größeren Stamm brauche.«
Soke schüttelte den Kopf. »So denkt ein Samurai. Wenn etwas nicht klappt, braucht er mehr Kraft, mehr Leute oder größere Schwerter. Aber egal wie groß du den Damm machst, das Wasser steigt mit und findet immer eine Möglichkeit, das Hindernis zu überwinden.«
Er zeigte auf ein Blatt, das mit der Strömung um den Stamm herumtrieb. »Ich führe dir hier das Prinzip des nagare vor, des Flusses. Beziehe es ab jetzt in deine Überlegungen mit ein. Wenn etwas nicht so funktioniert, wie du willst, ändere dein Vorgehen. Wende dieses Prinzip im waffenlosen Kampf an. Wenn dein Gegner deinen Angriff abwehrt, wechsle einfach die Technik. Folge dem Fluss und du wirst ihn zuletzt besiegen.«
Soke bedeutete Jack, den Stamm wieder aus dem Bach zu ziehen.
»Wenn du auf ein Hindernis stößt, fließe wie ein Gebirgsbach darum herum und setze deinen Lauf fort.«
Die beiden kehrten zum Dorfplatz zurück und betraten ein Gebäude, aus dem rhythmische Hammerschläge schallten. Soke stellte Jack den Schwertschmied Kajiya vor. Kajiya reichte Soke eine neu gefertigte Klinge zur Begutachtung. Die Schneide blitzte im Schein des Ofenfeuers.
»Die Samurai betrachten das Schwert als ihre Seele«, sagte Soke mit einem Blick auf die beiden Schwerter an Jacks Hüfte. »Für einen Ninja ist ein Schwert dagegen nur ein Werkzeug unter vielen, ein Mittel zum Zweck.«
Er gab Kajiya das Schwert mit einem anerkennenden Nicken zurück. Sie sahen zu, wie der Schmied das Feuer im Ofen weiter anfachte, bis die Flammen hoch aufloderten. Dann zog er eine orange glühende Klinge heraus und begann wieder zu hämmern.
»Feuer ist voller Kraft und Bewegung«, erklärte Soke. »Unsere Waffentechniken hängen eng mit dem Ring des Feuers zusammen. Doch Feuer spielt auch in anderen Bereichen des ninjutsu eine Rolle, vor allem in der Disziplin des kajutsu, der Kunst des Feuers. Eine lautlose Variante davon ist etwa, ein Gerücht zu streuen. Ode r …«
Eine heftige Explosion erschütterte die Schmiede.
Jack warf sich auf den Boden. Vor ihm breitete sich eine Rauchwolke aus. Er sprang wieder auf und zog sofort sein Schwert. Noch wusste er nicht, ob sie angegriffen wurden oder ob der Ofen explodiert war. Da hörte er die
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