Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
glaube, du musst doch noch üben.«
23
Der unsichtbare Ninja
»Setz dich bitte«, sagte Shonin und bedeutete Jack, zwischen Soke und Hanzo Platz zu nehmen.
Jack war zusammen mit seinen Gastgebern in das große Haus eingeladen worden. Ihnen gegenüber saßen mit gekreuzten Beinen Miyuki, Tenzen und ein mürrisch dreinblickender Momochi. Shonin thronte am Kopfende des Tisches.
Zwei Mädchen mit Tabletts betraten den Raum und deckten den Tisch. Die Speisen waren zwar nicht so vielfältig und erlesen wie bei den Festessen der Samurai, die Jack in Kyoto erlebt hatte, sahen aber trotzdem sehr schmackhaft und appetitanregend aus. Es gab Misosuppe, violette Auberginen, eingelegtes Gemüse, Omelette, gegrillten Fisch und reichlich dampfenden Reis.
»Wie gefällt dir das Leben als Ninja?«, fragte Shonin, während sie aßen.
Jack überlegte. »Es ist eine Herausforderung!«, antwortete er schließlich.
Er meinte damit nicht nur die verschiedenen Disziplinen des ninjutsu , die er erlernen musste und die sich teils beträchtlich von dem unterschieden, was er sich als Samurai angeeignet hatte, sondern seine Einstellung zu den Ninja überhaupt. Seit einem Monat lebte er nun unter ihnen und seine bisherigen Ansichten über sie begannen sich wie die Schale einer mikan abzulösen. Und darunter kam eine ganz andere Wahrheit zum Vorschein.
Die Ninja waren nicht mehr die gesichtslosen Mörder, gegen die er gekämpft hatte, sondern Bauern, Dorfbewohner, Kinder und sogar Übungspartner im Kampftraining. Auch wenn sie sich von den Samurai unterschieden, hieß das nicht, dass sie keinen Tugendkodex hatten. Der Geist des ninniku zeigte sich in jedem Bereich ihres Lebens. Er gründete sich auf die fünf Ringe und wurde bestimmt vom Mitgefühl für andere. Sie besaßen also ein Wertesystem, das dem Bushido der Samurai durchaus gleichwertig war.
Außerdem machte ihm das Training als Ninja viel Spaß, obwohl er sich dies nur widerstrebend eingestand. Ihre Künste mochten dunkel und geheimnisvoll sein, aber sie waren auch sehr nützlich. Nach dem Tod seines Vaters hatte er sich geschworen, die Ninja für immer als seine Feinde zu betrachten. Aber waren sie das wirklich?
Inzwischen zweifelte er daran. Die Ninja schützten ihn vor den Samurai und begegneten ihm mit Freundlichkeit und Respekt. Soke, Hanzo und Tenzen waren fast schon Freunde und Lehrer geworden. Andererseits hatten ihn die Ninja so lange verfolgt, dass es ihm trotz allem schwerfiel, sich von seinen alten Überzeugungen zu trennen. Zu viel war geschehen, als dass er ihnen plötzlich hätte trauen können. Und noch immer wusste er nicht, weshalb sie ihn unterstützten. Er blieb deshalb wie Momochi auf der Hut.
Sein Leben als Ninja bedeutete für ihn in der Tat eine Herausforderun g – es stellte sein ganz bisheriges Denken und Handeln infrage.
Shonin nickte wissend, als könnte er Jacks Gedanken lesen.
»Wie beurteilt Ihr seine Fortschritte, Soke?«
»Jack lernt das ninjutsu so schnell, als sei er damit aufgewachse n – Ihr solltet ihn beim lautlosen Gehen durch die Reisfelder sehen!« Soke lächelte Jack wohlwollend an. »Mit den Wurftechniken hat er dagegen noch Schwierigkeiten.«
Jack blickte schuldbewusst in Miyukis Richtung. Miyuki starrte ihn finster an. Sie hatte ihm noch nicht verziehen, dass er ihren Topf zerbrochen und sie durchnässt hatte.
»Aber er lernt schnell, Vater«, sagte Tenzen.
»Unter deiner Anleitung bestimmt.« Shonin sah seinen Sohn stolz an. »Und wie ich höre, unterrichtest du, Miyuki, Jack in den sechzehn geheimen Fäusten. Kennt er sie schon alle?«
»Ja«, antwortete Miyuki knapp.
Kein Wunder!, dachte Jack. Sie hat sie oft genug an mir demonstriert.
»Du wunderst dich bestimmt, Jack, warum ich zugestimmt habe, dass Soke dich, einen Samurai, in der Kunst der Ninja unterweist«, sagte Shonin.
»Ein wenig schon, ja.«
»Nun, ich glaube, dass wir wechselseitig voneinander profitieren können. Wie ich höre, unterrichtest du Hanzo in den Grundlagen der Samuraischwertkunst. Ich selbst wüsste gerne mehr über die Technik der beiden Himmel. Wer sie beherrscht, ist angeblich unbesiegbar. Was kannst du mir darüber sagen?«
Jack zögerte. Masamoto hatte nur wenige Schüler, die er an Geist, Körper und Seele für würdig befunden hatte, in die geheime Technik eingeweiht. Selbst wenn er Masamoto hätte fragen können, ob er über die Technik sprechen durfte, im Grunde kannte er die Antwort bereits: Verrate deinem Gegner nie deine
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