Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
eigenem Antrieb gehandelt? Sie war von Anfang an dagegen gewesen, dass er Ninja wurde. Vielleicht wollte sie ihn auf diese Weise für immer loswerden. Doch dadurch hätte sie das Dorf unnötig in Gefahr gebracht.
Es war jedoch ebenso möglich, dass Gemnan log. Der Samurai hatte ganz offensichtlich viel Erfahrung im Verhören und Foltern. Vielleicht gehörte es zu seinen Methoden, Jack glauben zu machen, er sei verraten worden, damit er auspackte. Bei seiner Gefangennahme war es ihm so vorgekommen, als seien die Torwachen von ihrer Entdeckung ehrlich überrascht gewesen. Sie hatten keineswegs gewirkt, als hätte man sie schon vorher von der Anwesenheit der Spione unterrichtet. Vielleicht hatte Jack einfach nur Pech gehabt, weil die Wache ausgerechnet von ihm ein Lied hatte hören wollen. Hätte er doch nur Shika no Tone geübt, dann wäre er nicht erwischt worden!
Wie auch immer, er würde niemanden verraten. Er musste Akikos Bruder und auch die anderen Dorfbewohner schützen. Und wollte er Soke glauben, konnte er mit diesem Fürsten sowieso nicht verhandeln. Er würde an seinem Schicksal auch dann nichts ändern, wenn er das Dorf verriet. Es war alles umsonst gewesen. Drei Jahre lang hatte er sich der beinharten Samuraiausbildung unterzogen, hatte scheinbar unmögliche Herausforderungen gemeistert, seinen Erzfeind Drachenauge besiegt, in einem Bürgerkrieg gekämpft und war zu guter Letzt noch Ninja geworde n – nur um in dieser Hölle zugrunde zu gehen.
Er würde einen qualvollen Tod sterbe n … es sei denn, er konnte fliehen. Aber wie? Der Käfig war abgeschlossen, die Gitterstäbe aus Eisen. Er selbst war vom stundenlangen Hocken in der Sonne benommen und steif. Am nächsten Morgen würde er bestimmt zu schwach sein, um sich noch zu wehren.
Bei Einbruch der Dämmerung wusste Jack, dass er jetzt handeln musste oder nie. Sein Bewacher war müde. Seiner Miene nach zu schließen wartete er bereits ungeduldig auf die Ablösung.
»Wache«, krächzte Jack mit ausgedörrter Kehle.
»Was denn?«, fragte der Samurai ungeduldig.
Jack brachte kaum mehr als ein Flüstern heraus.
»Sprich lauter!«
Jack versuchte es wieder.
»Ich kann dich nicht verstehen.« Der Mann trat vor den Käfig. »Willst du auspacken?«
Jack krächzte eine unverständliche Antwort.
Der Samurai beugte sich noch tiefer hinunter. Als sein Ohr auf gleicher Höhe war wie Jacks Mund, fuhr Jack mit den Armen durch die Stäbe, packte den Kopf des Mannes und platzierte einen Fingernadelstoß tief im Gehörgang des Mannes. Sein Gegner zuckte vor Schmerz zusammen und wollte zurückweichen, doch Jack schlug ihm mit einer Fingerfaust auf die Kehle und auf einen Druckpunkt, den Miyuki ihm gezeigt hatte. Der Wächter sank gegen das Gitter und stöhnte vor Qual.
»Schließ die Tür auf.«
»Ich habe den Schlüssel nicht«, stöhnte er. »Gemnan hat ihn.«
Er streckte die Hand nach seinem Messer aus. Blitzschnell schlug Jack ihm mit der Faust auf den Nacken. Der Samurai brach bewusstlos zusammen. Jack griff durch das Gitter und bekam das Messer zu fassen. Mit der Spitze brach er das Schloss auf, wie sein Vater es ihm einmal in England gezeigt hatte.
Er kroch aus dem Käfig. Seine Glieder waren so steif, dass er kaum stehen konnte, geschweige denn rennen. Der Samurai war immer noch bewusstlos. Unabhängig davon, ob Miyuki ihn verraten hatte oder nicht, für eine Wohltat musste er ihr dankbar sein: die sechzehn geheimen Fäuste. Doch er wusste, dass der Wächter bald aufwachen würde. Er nahm ihm auch noch das Schwert ab.
Lautlos schlich er an der Mauer entlang durch das Dunkel. Das Blut kehrte allmählich in seine Beine zurück. Am Hofeingang angekommen, fiel sein Blick auf den Gefangenen, der immer noch an die Pfähle gefesselt am Boden lag. Egal was für ein Verbrechen er begangen haben mochte, Jack konnte ihn unmöglich da liegen lassen und dem Sadismus Gemnans überantworten. Er kniete sich neben ihn und schnitt seine Fesseln durch. »Du bist frei«, flüsterte er.
Der Mann antwortete nicht. Erst jetzt sah Jack, dass er tot war. Man hatte ihn nicht nur in der prallen Sonne am Boden festgebunden, sondern auch noch über einem Bambusspross, dessen angespitzte Stängel langsam in ihn hineingewachsen waren. Gemnans Grausamkeit machte Jack fassungslos.
Die Gefangenen in der Grube fielen ihm ein und er überlegte, ob er sie auch befreien sollte. Doch bevor er etwas unternehmen konnte, hörte er, wie das Tor aufgeschlossen wurde. Er ging rasch hinter
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