San Miguel: Roman (German Edition)
zu ihrer eigenen Bar – was sagte sie dazu? Prohibition? Was für eine Prohibition? Auf ihrer eigenen Insel? Und da, hinter dem Zaun, das war die Scheune. Wo die Pferde waren.
»Soll ich dir helfen?«
»Nein, es sind bloß zwei Schlittenladungen. Nicht schlimm. Wirklich nicht.«
»Im Dunkeln?«
»Ja, im Dunkeln.«
Sie wollte wissen, ob sie Abendessen machen sollte, ihr erstes Essen im neuen Heim, und er war ganz aus dem Häuschen und sprang von einem Fuß auf den anderen, als hörte er den Takt einer Jazzband. Ja, ja, das wäre wunderbar , großartig, und könnte sie vielleicht auch Teewasser aufsetzen?
Sie betätigte die Handpumpe an der Spüle, füllte den Kessel und stellte ihn auf die Herdplatte. In der Brennkammer loderte fauchend das Feuer und fraß das Holz, das sie Scheit um Scheit hineinwarf. Das Haus war sauber und karg, beinahe klösterlich. Die Böden waren sorgfältig gewischt, die Regale abgestaubt, das Geschirr abgewaschen und ordentlich eingeräumt. Es sah ganz und gar nicht aus, wie sie sich das Haus eines Junggesellen vorgestellt hatte, und sie fragte sich, ob Herbie sich um ihretwillen besondere Mühe gegeben hatte, es herzurichten. Aber nein – so war ihr Mann eben: ordentlich, akkurat, geradezu penibel. Allerdings fehlte die Hand einer Frau, das sah sie sofort. Vorhänge konnten nicht schaden. Ein paar Bilder an den Wänden. Ein Teppich.
Herbie hatte seit Neujahr allein hier gelebt, abgesehen von Jimmie (der, das war ihr Eindruck, schon so lange hier war wie die Felsen von Green Mountain). Bob Brooks hatte ihn abgelöst, damit er mit seiner Braut nach Yuma fahren konnte, um dann als Verwalter mit der Option, sich einzukaufen, zurückzukehren, aber auf Bob warteten jede Menge andere Aufgaben, ganz zu schweigen von seiner Aussage in einem Mordprozess. Und Jimmie war anscheinend nicht imstande, diesen Job selbst zu übernehmen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, warum. Vielleicht war er nicht zuverlässig. Vielleicht war er ein Trunkenbold. Oder rauschgiftsüchtig. Oder faul. Oder einfach einer jener Männer, die nie erwachsen wurden, ganz gleich, wie alt sie waren.
Sie begann die Lebensmittel zu sortieren, die sie in den Rucksäcken mitgebracht hatten, denn hier draußen gab es keinen Garten und keine Kuh, und nach den ersten paar Tagen würde die Milch, die sie tranken, aus der Dose kommen. Und was den Käse betraf, so würden sie damit sparsam umgehen müssen. Mit den Eiern ebenfalls. Herbie hatte die Eier – sechs Kartons – in seinen Rucksack gepackt, weil sie nicht die Verantwortung dafür hatte übernehmen wollen, und als sie die Deckelklappe zurückschlug und die Kartons heraushob, sah oder vielmehr fühlte sie, dass einige Eier den Transport nicht heil überstanden hatten. Das war die Inspiration zu ihrem ersten Abendessen: Omelettes aux fines herbes avec fromage et pain de l’épicerie .
Sechs Eier in dem obersten Karton waren zerbrochen, doch es gelang ihr, sie aus den Schalen in eine blaue Rührschüssel zu löffeln, die sie in einem Regal über der Spüle entdeckt hatte. Dann verstaute sie den Rest der Lebensmittel in der Vorratskammer; Eier, Milch, Käse und Gemüse kamen in die dahinter gelegene Kühlkammer, wo bereits ein Stück Speck und ein halbzerlegtes Schaf hingen, das aussah – und roch –, als wäre es nicht mehr ganz frisch. Die vielen Säcke mit Konserven lagen noch am Strand, doch das Nötigste stand in Dosen auf den Regalen: Tomaten, Bohnen mit Speck und Sauerkraut, und die großen braunen Behälter aus Ton, die entlang der Wand aufgereiht waren, enthielten Zucker, Mehl, Nudeln und dergleichen. Als sie alles eingeräumt hatte, ging sie ins Schlafzimmer, um ihre Kleider auszupacken.
Die Wände waren dunkel – unbehandeltes Holz – und fühlten sich feucht an. Der Raum roch nach kalter Asche und von Meerwasser gebleichten und geschliffenen Brettern. Die Petroleumlampe verbreitete ihren eigenen strengen Geruch. Der Docht war schwarz, doch der Zylinder glänzte, als käme er direkt aus dem Haushaltswarengeschäft. In der Ecke stand eine Kommode. Die beiden oberen Schubladen waren leer und mit sauberem Ölpapier ausgeschlagen, Herbies Sachen lagen ordentlich gefaltet in der unteren Schublade. Sie brauchte nicht länger als zwei Minuten, um das, was sie mitgebracht hatte, zu verstauen – die meisten ihrer Kleider waren ja noch unten am Strand. Im Dunkeln. Sie stand vor dem Bett und versuchte herauszufinden, welche Seite Herbies war, bis sie schließlich
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