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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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beschloss, ihr durchsichtigstes – und einziges – Negligé auf das linke Kissen zu legen. Es war ein Hochzeitsgeschenk von Anna, in dem sie sich, anfangs jedenfalls, nicht sehr wohl gefühlt hatte, aber Herbie war, obwohl er gewiss keiner Ermunterung bedurft hatte, noch erheblich munterer geworden, als er sie in jener ersten Nacht darin gesehen hatte. Sie hatte das Licht ausgeschaltet, und er war zu ihr gekommen, und bei dem, was dann geschehen war, hätte es keine Rolle gespielt, was sie anhatte.
    Sie dachte daran, an Herbie und ihre erste Nacht und die Nächte, die darauf gefolgt waren, sie betrachtete sich im Spiegel und fragte sich, ob sie einen Hauch von Lippenstift, Rouge und Parfüm auflegen und etwas mit ihren Haaren machen sollte – es sah schrecklich aus, plattgedrückt vom Kopftuch und an den Spitzen vom Wind verfilzt –, als sie vom Hof her Hufschlag hörte. Sie hielt ohnehin nicht viel von Make-up – sie wusste, dass sie unscheinbar war, und mit Make-up sah sie nur aus wie ein Zirkusclown oder fühlte sich jedenfalls wie einer –, und so war sie beinahe froh, sich vom Spiegel abwenden und hinausgehen zu können, um ihm zu helfen, den Schlitten zu entladen und die Sachen auf der überdachten Veranda zu stapeln, die die ganze Längsseite des Hauses einnahm.
    »Sieht so aus, als müsste ich noch zweimal fahren«, sagte er, schob einen Pappkarton voller Bücher über die ausgetrockneten Dielen und griff sogleich zum nächsten. »Ich glaube« – die Pappe machte ein scharfes, pfeifendes Geräusch, als der Karton über das Holz glitt –, »wir haben mehr mitgebracht, als ich dachte« – er beugte sich hinunter, hob einen Karton hoch, schob ihn zu den anderen –, »aber das ist vielleicht besser so, denn man weiß nie, wann das nächste Boot kommt, und es ist gut zu wissen, dass man hat, was man braucht, wenn man auf sich allein gestellt ist. Wir werden jedenfalls nicht verhungern. Nicht in nächster Zeit.«
    Sie stand neben ihm und lud ebenfalls ab: Bücher, Konservendosen, Bettzeug, die beiden zueinander passenden Koffer, die ihre Mutter ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Die Erschöpfung, die sie eben noch gespürt hatte, verschwand in der Aufregung des Augenblicks: Ihre Dinge und seine Dinge wurden miteinander vereint. »Kannst du nicht einen Teil bis morgen dort liegenlassen?«
    Er richtete sich auf, reckte sich und sah sie an. »Es wird Nebel aufkommen, und der macht die Sachen ganz schön nass.«
    »Und wenn du eine Plane darüber breitest? Hier muss es doch eine Plane geben. Wenn wir die verderblichen Sachen holen, die Lebensmittel und so weiter, kann der Rest bis morgen warten. Oder?«
    Er stand noch immer da, und hinter ihm öffnete sich die Nacht in die Unendlichkeit. »Ich hab dich nicht mal über die Schwelle getragen«, sagte er. »Schande über mich. Schande über uns.« Und bevor sie widersprechen konnte – es gab so viel zu tun, und was war mit den Pferden, was war mit seinem Rücken, wo er doch schon so viel hatte heben müssen? –, hatte er sie auf die Arme genommen, stieß mit einem Tritt die Tür auf, trug sie durch das Haus und setzte sie erst ab, als sie im Schlafzimmer waren; dort drückte er sie an sich und küsste sie lange. »Du hast recht«, sagte er schließlich, »absolut recht. Die erste Nacht in unserem neuen Haus, und ich mache mir Gedanken über unser Gepäck! Was ist los mit mir? Bin ich verrückt?«
    Und so ging er hinaus, schirrte die Pferde aus und brachte sie in die Scheune, und dann zerrte er eine staubige und hier und da löchrige Segeltuchplane – ebenfalls aus Armeebeständen – aus dem Dachgestühl und schleifte sie zum Strand. Als er zurückkehrte, war der Tisch in der Küche gedeckt, auf einer Untertasse brannte eine Kerze, und ein Duft nach Omelettes lag in der Luft. Lange saßen sie am Tisch; Herbie redete und redete, sein innerer Motor lief auf Hochtouren, und sein Ganghebel kannte keinen Leerlauf: Er pries das Haus, die Insel, ihre Kochkünste, sie – vor allem sie –, und was machte es schon, dass die Omelettes ein bisschen angebrannt und die fines herbes durch Pfeffer, Salz und etwas Ketchup ersetzt worden waren? Ihm war das ebenso gleichgültig wie ihr. Es genügte, dass sie zusammen waren, nirgendwohin gehen und niemandem gefallen mussten außer sich selbst, und als sie aufstand und den Tisch abräumen wollte, wollte er nichts davon wissen. »Heute nacht nicht«, sagte er und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Heute nacht haben wir was

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