San Miguel: Roman (German Edition)
schrien sie einander an.
»Es ist alles deine Schuld«, rief er. »Warum ich mich von dir hab überreden lassen, diesen Scheiß-Wetterjob anzunehmen, weiß ich wirklich nicht.«
»Ich hab dich überredet? Du warst doch derjenige, der immer davon geredet hat, wie leichtverdientes Geld das ist.«
»Ist mir egal. Ich mach das nicht mehr.«
»Und was ist mit dem Geld?«
»Scheiß auf das Geld. Wir schreiben Billy Rose – oder nein, wir fahren zum Festland und telegrafieren ihm, heute noch –, dass wir sein Angebot annehmen.«
»Das haben wir doch alles schon besprochen.« Billy Rose war einer der Impresarios der Weltausstellung in San Francisco und wollte sie einfliegen lassen, um sie für eine begrenzte Zahl von Vorstellungen als seine Gäste auf der Bühne zu begrüßen: Alle würden kommen und die Schweizer Familie Lester bestaunen, Billy Rose würde Witze über Schafe und Inseln und die Zubereitung von Mahlzeiten auf einem Holzofen reißen, und dann würde er sich zu Marianne beugen, ihr zublinzeln und sie feixend fragen: »Wie gefallen dir denn die anderen Kinder in deiner Schule?«, und die Menge würde brüllen vor Lachen, und die Dollars würden nur so strömen. Sie hatten das Angebot abgelehnt, ebenso wie das von Movietone News, die einen Wochenschaubeitrag hatten drehen wollen, denn sie fanden beide – beide –, dass die Kinder diesem Zirkus, dieser billigen Kommerzialisierung nicht ausgesetzt werden sollten.
»Ist mir egal. Ich werde ihm telegrafieren.«
»Nein. Auf keinen Fall.«
»Wir könnten endlich Geld verdienen, vielleicht sogar viel Geld.«
»Nein.«
»Willst du es mir etwa verbieten? Ich bin hier der Chef, ich bin der König von San Miguel, nicht du. Du bist nicht diejenige, die alle sehen wollen, du bist nicht diejenige, die Interviews gibt, sondern ich. Ich . Und ich mache, was ich will, ob es dir nun gefällt oder nicht.«
Sie war erkältet, sie hatte schlechte Laune, ihre Nase lief, und ihr Kopf schmerzte. Marianne war etwas fiebrig und hatte sie die halbe Nacht nicht schlafen lassen. Sie war nicht sie selbst und hätte die Sache auf sich beruhen lassen sollen, das wusste sie, aber sie konnte nicht. »Hör auf, dir was vorzumachen«, fuhr sie ihn an. »Wir sind König und Königin von nichts. Das Ganze ist doch nichts als ein Witz.« Auch ihre Stimme klang, als wäre es nicht ihre – sie klang schrill und herzlos. »Willst du mich auf den Arm nehmen? Wir sind so pleite, wie wir waren, als wir herkamen. Was gehört uns denn schon außer deinen Gewehren und meinen Büchern und den Kleidern, die wir auf dem Leib tragen? Und wir sind ganz und gar abhängig von Bob Brooks. Der könnte diese Ranch morgen schließen, wenn er wollte – und das weißt du auch.«
Er saß auf dem Bett und band sich die Schuhe zu. Sein Haar war zerzaust, die Schultern waren gebeugt, seine Bewegungen waren ruckartig und wütend. Der Ofen war ausgegangen. Das Haus roch nach Asche, Katzen und irgend etwas Fauligem in den Wänden. Sie stand an der Kommode und fragte sich, was sie anziehen sollte (nicht dass es viel Auswahl gegeben hätte – sie trug eigentlich jeden Tag dasselbe: Rock, Bluse, Pullover, Stützstrümpfe, flache Schuhe), als er mit einemmal aufsprang, das weiße Hemd packte, das über der Stuhllehne hing, und es vor ihrem Gesicht schüttelte, dass die Epauletten im Licht der Nachttischlampe funkelten. »Ich bin König«, rief er, »da kannst du sagen, was du willst. Und Bob Brooks würde nie im Leben irgendwas tun, was uns schaden würde, und wenn doch, dann ist das ein Grund mehr, Billy Rose zu telegrafieren und ins Flugzeug zu steigen.«
Sie stritten sich nie. Oder kaum jemals. Unter anderem, weil sie den Mädchen kein schlechtes Beispiel geben wollten. Sie konnte seine Stimmungen spüren, sie wusste ihn zu dirigieren und verstand es zu warten. Und meist gab sie schließlich nach. Doch diesmal nicht. Diesmal ging es um ihre Kinder. Plötzlich wurde der Regen lauter, als hörten sie eine Radiosendung und jemand hätte am Lautstärkeregler gedreht.
»Nein«, sagte sie.
»Elise«, sagte er.
»Nein!«, sagte sie.
»Herrgott noch mal«, sagte er.
Grauer Himmel, ein trüber Monat, keine Besucher, ein Tag wie der andere. Jeden Tag musste sie drei Mahlzeiten auf den Tisch bringen. Sieben Stunden unterrichten. Um Mitternacht und um sechs Uhr morgens zur Wetterstation gehen. Die Böden wischen, die Tiere füttern, das Geschirr abwaschen, die Wäsche in einem Kessel auf dem Holzofen kochen, dessen
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