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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nahm er sie nur auf den Arm, drückte ihnen einen Kuss auf die Wange und setzte sie wieder ab. Dann sah er zu Elise auf und grinste müde. »Wie wär’s mit einem kleinen Whiskey vor dem Essen?« fragte er. »Willst du auch einen?«
    »Ja«, sagte sie, »das klingt gut. Das ist übrigens vorhin gekommen – für dich.«
    Als er das Paket sah, wurde er lebendig – oder nein: er sprang auf wie von der Tarantel gestochen, und jede Faser seines Körpers vibrierte förmlich vor Erregung. Er drehte es hin und her und las mit verwunderter Stimme die Absenderangabe vor. »Stellt euch vor – aus Afrika. Wisst ihr eigentlich, wo Äthiopien ist?«
    Die Mädchen nickten ungeduldig. »Mach es auf, Daddy«, bettelte Marianne, und dann hüpften beide auf und ab und riefen im Chor: »Mach es auf, mach es auf!«
    Sie brachte ihm ein Messer, und er schnitt den Bindfaden durch und riss das Packpapier auf. Es kam eine Schachtel zum Vorschein, etwa so groß wie ein Schuhkarton. »Na so was«, sagte er und verzog gespielt missmutig das Gesicht. »Haile Selassie schickt mir ein Paar Schuhe.«
    In der Schachtel war ein Brief des abgesetzten Kaisers – oder eines seiner Höflinge –, in dem dieser Herbie für sein großzügiges Angebot und seine Unterstützung des ins Exil getriebenen Herrschers dankte, der nur auf den Tag wartete, da die Fascisti besiegt waren und der Löwe von Juda auf seinen rechtmäßigen Thron zurückkehren konnte. Mit keinem Wort wurde erwähnt, dass seit Herbies Angebot Jahre vergangen waren und sich die ganze Angelegenheit insofern erledigt hatte, als die Italiener in Addis Abeba waren und offenbar lange zu bleiben gedachten, doch in den Tiefen der Schachtel lagen, eingewickelt in Seidenpapier, zwei schimmernde, golddurchwirkte Epauletten, die dem Träger, so hieß es in dem Brief, den Rang eines kaiserlichen Würdenträgers verliehen.
    Das Essen konnte warten. Der Whiskey ebenfalls. Elise musste sich sofort, auf der Stelle, hinsetzen (na gut, er würde erst den Whiskey einschenken, zur Feier des Tages) und die Epauletten auf die Schultern seines besten weißen Hemds nähen. Er zog es an, betrachtete sich, glücklich wie ein Schuljunge, im Spiegel, trank sein Glas aus und schenkte sich nach. Dann nahm er die Elefantenbüchse, hängte sie sich über die Schulter und marschierte mit den Mädchen auf dem Hof auf und ab – links, zwei, drei, vier –, bis das Essen auf dem Tisch stand und sie sich setzen und ein Dankgebet nicht nur an den lieben Gott richten konnten, sondern auch an den weisen und gütigen Löwen von Juda und seinen treuen Verbündeten, den König von San Miguel.

NIEDERGEDRÜCKTER
    Es kam nur wenig Geld herein, ganz gleich, wie weit ihr Ruhm sich verbreitet hatte, und als der nationale Wetterdienst beschloss, eine Station auf der Insel einzurichten – man wollte sie mit einem Sprechfunkgerät und Instrumenten zur Messung von Temperatur, Windgeschwindigkeit und Luftdruck ausstatten und dafür bezahlen, dass sie zweimal täglich die Messwerte übermittelten –, griff Herbie sofort zu. Als sie vor zehn Jahren auf die Insel gekommen waren, hatte er davon geträumt, Bob Brooks auszukaufen, doch die Wirtschaftskrise hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, und auch Hugh Rockwell hatte sich nicht zu einer stillen Teilhaberschaft bewegen lassen, was die Rettung für sie gewesen wäre. Das war ein Schlag, von dem Herbie sich nie ganz erholte, und es erbitterte ihn auch, dass aus seinen Plänen, Vorträge zu halten oder Robben zu fangen oder die Skelette von See-Elefanten zu verkaufen, nie etwas geworden war. Dennoch suchte er ständig nach Einkommensquellen. Die fünfundzwanzig Dollar pro Woche, die der Wetterdienst zahlte, waren das erste Geld, das nicht von Bob Brooks oder Hugh Rockwell oder irgendeinem anderen aktuellen oder ehemaligen Geschäftsmann und Millionär stammte. Es ging bergauf. So jedenfalls sah sie es.
    Aber dafür mussten sie jeden Morgen im Dunkeln aufstehen, die Messwerte ablesen und an die Station auf dem Festland übermitteln. Dasselbe abends, sieben Tage die Woche. So früh am Morgen und so spät am Abend war sie nicht gerade in der besten Verfassung, und ihm ging es nicht anders. Der strikte Zeitplan wurde zur Belastung. Als sie sich an einem Wintermorgen aus dem Bett quälten – es war eiskalt im Haus, und draußen stürmte und regnete es unablässig –, mäkelte er wegen irgend etwas an ihr herum, sie gab es ihm mit gleicher Münze zurück, und im Handumdrehen

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