Sanctum
den Eindruck, als wiche die Bestie von den Einschüssen in jene Regionen des Körpers zurück, wo die Wirkung des Silbers noch nicht hinreichte.
Hinter sich vernahm er viele eilige Schritte, er hörte das Klappern von Degen und das Geräusch, wenn Musketenkolben gegen Eisen stießen. »Was …« Jean fuhr herum –
– und sah, wie ein Dutzend Maskierter im Durchgang erschien. Die erste Reihe kniete sich ab und legte an, die zweite blieb stehen und nahm sie ebenfalls ins Visier. Der Schein einer Laterne sorgte am Hals eines der Männer für ein goldenes Funkeln … und darunter befand sich etwas Längliches, Weißes.
Ein Wolfszahn!
Jean schaute nach vorn und zielte auf den Comte.
Der Orden des Lycáon!
»Rasch, erledigt die …«
In seinem Rücken sang der Chor der Musketen sein dröhnendes, tödliches Lied.
Eine Kugel riss Jean die Pistole aus den Fingern und zerschmetterte sie, dann bekam er einen Schlag gegen die Schläfe, als habe ein Riese mit der flachen Seite einer Schaufel ausgeholt. Alle Kraft wich aus ihm, die Beine gaben einfach nach. Er spürte nicht, wie er auf den dreckigen Boden aufschlug, blieb einfach liegen, nahm alles wie durch eine dicke Schicht Watte wahr. Die Seraphim erwiderten das Feuer … vereinzelt schrien Männer auf … schließlich wurde er unter den Achseln gepackt und zur Seite gezerrt, weg vom Durchgang … jemand sprach mit ihm, aber er verstand kein Wort, es war undeutliches Genuschel … dann wieder Stille, lange Stille.
Jean wusste nicht, wie viel Zeit verging. Es konnten Sekunden sein – aber auch Stunden oder Tage.
Schließlich aber wich, langsam, ganz langsam die Benommenheit, und er erkannte seine Retterin.
»Bleibt ruhig, Monsieur«, sagte Sarai. »Heute ist nicht der Tag, um zu sterben.« Sie hatte ihn durch eine Tür gezerrt und diese so weit zugezogen, dass sie durch einen Spalt hinausschauen konnten, ohne entdeckt zu werden. »Eure Verwundungen sind nicht weiter gefährlich, aber sie bluten sehr stark«, flüsterte sie und kniete sich neben ihn, um die Splitter aus seiner Hand zu ziehen und die Wunde zu verbinden. »Es sind zu viele Feinde und sie verstehen ihr Handwerk, Monsieur. Wie die Söldner, die uns ausgebildet haben.«
»Ich kenne sie«, flüsterte er und spähte hinaus; warmes Blut, das an seiner Wange herablief, tropfte in seinen Kragen. Sein Schädel brummte von dem Streifschuss. »Sie sind vom Orden des Lycáon und verehren die Werwölfe als heilige Geschöpfe.« Er sah keine Seraphim. »Was ist geschehen? Wo sind die anderen?«
»Wir haben die Hälfte von ihnen erschossen oder verletzt, danach habe ich den Seraphim befohlen, sich zurückzuziehen und vor dem Tor versteckt in Stellung zu gehen. Es gibt nur diesen einen Ausgang. Ich habe Euch im Durcheinander des Kampfes in ein Versteck geschleppt, wir wurden nicht bemerkt.« Sarai beendete ihre Arbeit. »Die Bestie wird uns nicht entkommen, Monsieur.«
Gemeinsam sahen sie durch den Schlitz, wie sich ein Mann dem jaulenden und um sich schnappenden Comte näherte. Zwei Schritte vor ihm blieb er stehen, dann rief er etwas, und acht weitere Männer eilten heran.
»Verflucht, es war nur die Vorhut«, ärgerte sich Sarai und wischte die blutigen Finger an ihrer Hose ab.
»Es war gut, dass du den Seraphim befohlen hast, sich zurückzuziehen. Wir brauchen keine sinnlose Opfer.« Jean beobachtete, wie die Männer den geschwächten Werwolf mit den Musketenkolben auf den Boden drückten, bevor einer sich über ihn beugte und sein Messer zückte; die Klinge glitt in das erste Einschussloch.
»Nein!« Jean versuchte sich aufzurichten, und sofort verschwamm ihm die Sicht. Er war angeschlagen. Zu angeschlagen, um effektiv eingreifen zu können. Er verfluchte die Rumänen, die zum ungünstigsten Zeitpunkt überhaupt aufgetaucht waren.
Der Mann hatte nun beide Silbergeschosse aus dem Körper des Comtes entfernt, erhob sich und nickte den anderen zu. Sie nahmen die Musketen weg und ließen die geifernde Bestie frei.
Erlöst vom lähmenden, tödlichen Silber, kehrte die Lebendigkeit mit erschreckender Schnelligkeit in den Comte zurück. Er verwandelte sich nun vollends in das Wesen, das Jean so lange durch die Wälder, über die Ebenen und die Gebirge des Gevaudan gejagt hatte, und zeigte sich seinen Rettern in seiner reinen Bestienform. Er knurrte und zog die Lefzen zurück, zerriss die störenden Kleider, die noch an ihm hingen, und duckte sich zum Sprung.
Der Mann, der ihm die Kugeln herausoperiert hatte,
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