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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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angelehnten Tür führte, lag ein Leichnam neben und über dem anderen. Es war ihm nicht möglich zu sagen, wie viele Tote es waren, aber ein Dutzend reichte gewiss nicht aus.
    Das Blut stand in Pfützen auf dem Boden oder troff von den Wänden, als sei es wie ein Regenguss von der Oberfläche durch das Erdreich nach unten gesickert. Das Werk der Bestie.
    Jean war sich sicher, dass sie zu spät erschienen waren. Sie würden Florence nicht mehr finden. »Vorwärts«, ordnete er an und balancierte über und zwischen den Leichen entlang, das Blut spritzte – so sehr er auch Acht gab – von den Schuhen bis zu den Knien.
    Vorsichtig schob er die Tür auf und sah in einen Aufenthaltsraum, in dem vier Betten und ein Tisch standen. An der anderen Seite befand sich eine ebenfalls geöffnete Tür, hinter der er Gitterstäbe und Zellen erkannte.
    Gleich darauf standen er und die Seraphim in einem leeren Zellentrakt. Dicke Eisenstäbe sicherten gegen Ausbruchsversuche, in den Wänden waren Ketten und Handfesseln eingelassen, die Jean an den Keller erinnerten, in dem er seine Söhne gefangen gehalten hatte. Damals im Gevaudan, als er noch beide für Loups-Garous hielt.
    Hier lagen zwei Männer in ihrem eigenen Blut, denen die Bestie die Brust zerbissen hatte; in einer Zellentür steckte ein verbogener, rot glitzernder Schlüssel.
    »Ich nehme an, dass sich Florence befreit hat«, meinte Sarai nach eingehender Betrachtung des Ortes. »Es spricht alles dafür, oder, Monsieur Chastel?«
    »Die Spuren weisen darauf hin, dass die Männer im Gang von vorn angegriffen wurden. Florence hätte sie von hinten überrascht, sie würden anders liegen«, widersprach er und sah auf seine beschmutzten Stiefel. Es würde lange dauern, bis das Blut abgewaschen war. »Ich denke, dass sich jemand den Weg zu ihr freigekämpft hat.«
    Debora trat in die Zelle und betrachtete den Boden, dann rief sie Jean und wies ihm ihren Fund: ein kleines Häufchen Kot. »Das ist zu wenig für einen ausgewachsenen Menschen oder eine Bestie.«
    Jean ging in die Hocke, nahm einen Halm des verteilten Strohs und stocherte in den Exkrementen herum. Die Beschaffenheit gab ihm als erfahrenem Wildhüter Aufschluss darüber, was das Wesen zu sich genommen hatte. Was er sah, ließ nur einen Schluss zu. Er erbleichte.
    »Bei den Heiligen! Es stammt von einem kleinen Wolf!«
    Er wusste, was das bedeutete.
    Florence und Pierre hatten sich damals des Öfteren zu heimlichen Treffen verabredet, und wie es bei jungen Liebenden gelegentlich vorkam, wenn Leidenschaft und Gefühle zu groß gerieten, wusste er nur zu gut. Er erinnerte sich sehr genau an diese eine Nacht, in der ihn und Gregoria die Gefühle überwältigt hatten.
    Ist aus Pierres und Florences Liebe eine neue Bestie erwachsen? Oder war es anders? Pierre hatte davon berichtet, die Bestien gesehen zu haben, wie sie es miteinander trieben – hatte Florence das Kind Antoines ausgetragen? Oder sogar das des Comtes?
    Damit hätten sich die Befürchtungen, die Malesky und er bereits im Gevaudan gehegt hatten, bestätigt. Es war eine neue Brut geboren, und sie hatten es noch immer nicht geschafft, die alte auszumerzen. »Durchsucht alles. Jeden Fetzen Stoff an den Leichen. Wir brauchen Hinweise«, befahl er.
    Die Seraphim machten sich auf der Stelle an die Arbeit.
    »Monsieur, seht«, sagte Sarai und zeigte auf die Fläschchen und zitzenähnlichen Aufsätze aus Holz, die aufgereiht im Schrank standen. »Man hat die kleine Bestie damit gefüttert.«
    »Könnte sein, dass man sie von der Mutter getrennt hat. Oder die Mutter tot ist.« Jean erhob sich und verließ die Zelle. »Falls sie noch lebt, hat sie vielleicht das Massaker angerichtet. Sie könnte erschienen sein und sich ihr Kind zurückgeholt haben.« Er beteiligte sich an der Suche, aber auch er fand nichts. Also deutete er zum Ausgang. »Wir haben hier nichts mehr verloren. Kehren wir zurück und berichten der Äbtissin.«
    So vorsichtig, wie sie den Gang betreten hatten, so vorsichtig kehrten sie durch ihn zurück in die unterirdische Basilika und gingen von dort die Stufen nach oben in das Gotteshaus der heiligen Felicitas. Sie zogen sich Tücher vor die Gesichter, um nicht von den ersten Gläubigen, die sich am Eingang versammelt hatten, erkannt zu werden.
    Rasch wich man vor den Frauen und Jean zurück, die bald in den Gassen verschwunden waren und ihre Maskierung fallen ließen. Wegen des vielen Bluts an ihrer Kleidung, das eine Befragung durch die Stadtwache nach

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