Sanctum
leicht verfolgen können.« Ihr Gesicht machte die Ablehnung deutlich. »Es geht nicht anders, wenn du unsere Mission erfolgreich zu Ende bringen willst.« Er strich über ihre Wange. »Verzichte auf das Grau. Du trägst den wahren Glauben sowieso in deinem Herzen, nicht auf deiner Haut.«
Seine Worte überzeugten sie. »Morgen werde ich mir andere Kleidung kaufen«, versprach sie, »aber jetzt lass uns gehen.«
Gregoria packte ihre Sachen, und sie verließen zusammen die Unterkunft und streiften durch Roms Gassen, bis Jean sich absolut sicher war, dass ihnen niemand folgte. Sie suchten sich daraufhin ein kleines Gasthaus, klopften den Wirt aus dem Bett und bezahlten ihm eine gute Summe. Gregoria bezog ein Zimmer, Jean holte aus seiner Herberge die restlichen Sachen und kehrte im Morgengrauen zu ihr zurück.
Jean schlief im gleichen Bett wie Gregoria, die ihn kaum mehr an die Äbtissin erinnerte, die er vor mehr als drei Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Er betrachtete die Schlafende und sah eine ganz normale Frau in den besten Jahren mit kurzen blonden Haaren. Er hatte sie wieder – so schön, so begehrenswert, so nah. Und dennoch so unerreichbar.
Er drehte sich um, legte eine Pistole unter das Kissen, die zweite neben das Bett auf den Boden, und lauschte in sich hinein. Bei aller Spannung, bei allen Gefahren, bei allen Unwägbarkeiten, die vor ihnen lauerten, und trotz der Erschöpfung hatte er sich selten besser gefühlt als jetzt. Die Unruhe und die Wut waren gewichen, die Nähe zu Gregoria hatte sie weggewischt.
Doch dann fiel Jeans Blick einmal mehr auf den unverheilten Kratzer am Handgelenk.
22. September 1767, Italien, Rom
Jean hielt sich immer an der Wand des Petersdoms, bekreuzigte sich gelegentlich vor Heiligenbildern und bewegte die Lippen, als würde er stumm beten. Mit diesem Verhalten ging er in der Menge der unzähligen Pilger auf, die glückselig durch das verschwenderisch ausgestattete Gottesschloss wandelten. Jean fühlte sich hier nicht sehr wohl, all der Prunk und die frommen Gesichter waren ihm größtenteils zu scheinheilig. Dank Gregoria unterschied er inzwischen zwischen guten und schlechten Priestern, doch nach seiner Einschätzung überwogen leider die schlechten. Und nach den jüngsten Ereignissen sah er sich in seinem Urteil umso mehr bestätigt.
Er suchte nach Bruder Matteo, der ihm von Gregoria beschrieben worden war. Sie saß in der Zwischenzeit in der Unterkunft, eine geladene Pistole auf dem Schreibtisch, an dem sie mit der Übersetzung der Blätter begonnen hatte.
Jean hatte bereits einige Runden gedreht, doch immer noch keinen Mann entdeckt, auf den die Beschreibung der Äbtissin passte. Das beunruhigte ihn. Was wäre, wenn er den falschen Kuttenträger ansprach?
Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Mosaiken, das funkelnde Allerlei, das für ihn allein menschliche Maßlosigkeit darstellte. Um in Gottes Sinn zu handeln – des Gottes, von dem ihm Gregoria schwor, dass es ihn gab –, sollten die Gelder den Bedürftigen gespendet werden. Was nützten atemberaubende Kirchen, wenn die Gläubigen sie nicht betraten, weil sie vor den Toren an Hunger starben?
Natürlich wusste er, dass es den Petersdom schon lange gab, die Unsummen, die er gekostet hatte, waren dahin. Doch der Hang zum Gewaltigen blieb: Gerade die Jesuiten zelebrierten im Kampf gegen die Lutheraner das Opulente, verlangten nach größeren und gewaltigeren Bauwerken, um Gott in den Augen der Menschen zu erhöhen und sie zum Glauben zurückzuführen.
Jean konnte sich nicht erinnern, dass Jesus etwas Ähnliches von seinen Jüngern verlangt hatte. Nirgendwo stand: Gehet hin und baut gewaltige Kirchen oder Kleidet die Priester in teure Kleider und erlaubt ihnen, Geld für Sinnloses auszugeben. Umgeben von derartiger Vergeudung war sich Jean sicher, dass Gott keinem anderen Ort ferner war als diesem.
Er suchte weiter nach Bruder Matteo. Vielleicht war es besser, später wiederzukommen und in der Zwischenzeit … halt! Jean bemerkte den Zipfel einer braunen Kutte, die eben hinter einer Ecke verschwand. Er lief hinterher und sah einen Mann, auf den tatsächlich die Beschreibung von Bruder Matteo passte. Er trug eine leere Kiste durch einen Seitenausgang. Jean heftete sich, nach einem kurzen, unauffälligen Rundblick, an seine Fersen und schlüpfte über die Schwelle, bevor die Tür ins Schloss fallen konnte.
Plötzlich stand er vor einem erschrockenen Mönch, der einen Kerzenständer in der Hand
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