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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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Bluff aufrecht. Solange niemand herausfindet, dass es eigentlich gar nichts gibt, funktioniert das auch. Und ein paar tausend Jahre später glauben die Leute das immer noch, nur hat sich inzwischen eine riesige Religion darum entwickelt.« Liv dachte daran, wie Samuel ihr bei seinem Abschied erklärt hatte, er wolle Gott näherkommen. »Und wenn mein Bruder das herausgefunden hat ... wenn er herausgefunden hat, dass alles, was ihm etwas bedeutet hat, seine Religion, sich in Wahrheit auf nichts gründet ...«
    Miriam sah, wie Liv Tränen in die Augen traten. »Aber da ist etwas«, erklärte sie. »Etwas Mächtiges.« Sie nahm ihre Wasserflasche und schaute sich das Etikett an. »Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen ...« Sie goss Wasser in ihr Glas. »Was wünschen Sie sich vom Leben? Was wünschen wir uns alle? Wir wünschen uns Gesundheit, Glück und ein langes Leben, richtig? Das war schon immer so. Unsere ältesten Vorfahren, diejenigen, die als Erste Feuer gemacht und Stöcke angespitzt haben, um sich gegen wilde Tiere zu verteidigen, haben sich das auch schon gewünscht – und schon damals existierte der Berg und die Menschen darin. Und diese einfachen Stammesvölker, die einfach nur ein wenig länger leben und nicht krank werden wollten, beteten diese Leute an, und das nicht aufgrund irgendeines cleveren Gerüchts, sondern weil die Menschen im Berg ein langes, langes Leben lebten und niemals krank wurden. Sagen Sie mir ... Wenn Sie an Gott denken, welches Bild kommt Ihnen da in den Sinn?«
    Liv zuckte mit den Schultern. »Ein Mann mit einem langen weißen Bart.«
    »Und wo, glauben Sie, kommt dieses Bild her?« Miriam drehte die Flasche herum und deutete auf das Etikett mit der Zitadelle. »Die ersten Menschen haben auf diesen Berg geschaut und einen Blick auf die Götter erhascht, die dort lebten: Männer mit langen Haaren und langen weißen Bärten. Alte, sehr alte Männer in einer Zeit, als man von Glück sagen konnte, wenn man dreißig wurde.
    Dieses Wasser wird in die ganze Welt exportiert. Das ist seit den Römern so, als die Kaiser davon erfahren haben. Glauben Sie, sie haben es nach Rom verschifft, nur weil es so gut schmeckt? Auch heute noch ist das Durchschnittsalter in Trahpah sieben Jahre höher als in jeder anderen Großstadt, und die Menschen kommen immer noch zu Tausenden her und werden von allen möglichen Dingen geheilt. Das sind keine Gerüchte. Das sind Tatsachen. Glauben Sie immer noch, dass es dort oben nichts gibt?«
    Liv senkte den Kopf, und ihr Blick fiel auf den Aschenbecher. Seit zehn Jahren war sie nikotinabhängig, doch das hatte sich in Trahpah mit einem Schlag geändert. Miriam hatte recht; hier musste es etwas geben. Außerdem hätte Samuel sie da nicht ohne Grund hineingezogen, und er hätte auch nicht die Zeichen in die Apfelkerne geritzt, wenn die nichts zu bedeuten hätten. Die Frage war nur: was?
    Liv blätterte zu der Seite in ihrem Notizbuch, wo die Zeichen standen. Sie schaute sie sich noch einmal an. Und wie die Sonne durch die Wolken bricht, erkannte sie plötzlich etwas Neues in ihnen.

K APITEL 94
    Cornelius stand im gleißenden Licht der Nachmittagssonne und ließ seinen Blick über die Touristengruppen am Graben schweifen. Manche Touristen posierten für Fotos, andere drängten sich um Reiseführer, und wiederum andere starrten einfach gedankenverloren zur Zitadelle hinauf. Darunter waren natürlich auch viele junge Frauen, und jede davon konnte die gesuchte sein. Cornelius strich über die kahlen Stellen in seinem Bart und stellte sich den Feind vor. Als er im Hospital gelegen und sich im Morphiumnebel von seinen Wunden erholt hatte, da hatte er oft an sie gedacht. Vor seinem geistigen Auge sah er immer wieder, wie sie mit ihrem Lumpenbündel aus dem Nichts auftauchte, Gesicht und Körper mit einer Burka verhüllt. Manchmal hielt die Frau in Cornelius’ Geist auch ein mit Zeitungspapier umwickeltes Päckchen in der Hand ... so wie das Päckchen, in dem seine Mutter ihn vor dem Waisenhaus ausgesetzt hatte. Ihr Gesicht hatte er auch nie gesehen. Aber er musste ihre Gesichter auch nicht kennen, um zu wissen, was sie waren: Verräter allesamt.
    Hinter ihm kündigte Kutlar mit Keuchen und Schlurfen seine Ankunft an wie ein Aussätziger, der aus seiner Höhle wankte. Cornelius steckte die Hand in die Tasche und schloss sie um den Kolben seiner Glock.
    »Welche ist es?«, fragte er.
    *
    Liv starrte die Buchstaben an, die sie von den Apfelkernen abgeschrieben

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