Sanctus
Beruhigungsmittel, mit dem Tierärzte für gewöhnlich Pferde betäubten. Gabriel schmiss die Glock des Mannes zusammen mit dem Schalldämpfer in die Tasche, warf sie sich über die Schulter und eilte wieder zum Büro zurück.
Je näher er kam, desto stärker wurde der Geruch nach verbrannter Luft, und er sah die zerfetzte Außenwand des Büros. Auf dem Boden davor markierte ein runder Rußfleck den Punkt der Explosion. Ein weiterer war auf dem Stahldach unmittelbar darüber zu sehen. Offenbar hatte der stabile Betonboden einen Großteil der Wucht nach oben abgeleitet. Ohne Zweifel hatte ihm das das Leben gerettet. Gabriel blieb kurz stehen, atmete tief durch, um seinen aufkeimenden Zorn zu ersticken, und ließ die letzten Kisten hinter sich.
Was von Oscar übrig geblieben war, lag vor der Bürotür.
Gabriel hatte schon viele Kriegsopfer gesehen, von modernen Waffen zerfetztes Fleisch, doch nie hatte er eine Beziehung zu einem dieser Opfer gehabt. Er ging zu seinem Großvater, schluckte seine Trauer herunter und versuchte, den roten Haufen Fleisch nicht anzustarren; stattdessen konzentrierte er sich auf das Gesicht des alten Mannes, das aus irgendeinem Grund unversehrt geblieben war. Gabriels Großvater hatte die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Er sah sogar fast friedlich aus, wäre da nicht der leuchtend rote Fleck auf seiner mahagonifarbenen Wange gewesen. Gabriel bückte sich und wischte das Blut mit dem Daumen weg. Die Haut war noch warm. Gabriel beugte sich vor und küsste seinen Großvater auf die Stirn; dann stand er wieder auf und suchte nach etwas, womit er den Toten bedecken konnte, bevor seine Gefühle mit ihm durchgingen. Außerdem hatte er das Areal noch nicht gesichert, und auch von Liv war keine Spur zu sehen. Gabriel zog eine Plane von den Kisten und breitete sie über Oscars Leiche aus; dann duckte er sich ins Büro.
K APITEL 124
Im selben Moment, als Gabriel den offenen Notausgang sah, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Er hob die Waffe und spähte vorsichtig hinaus. Der Inspektor lag auf dem Boden. Liv war verschwunden.
Gabriel ging hinaus und suchte entlang des Zauns nach einer Streife, doch zum Glück war niemand zu sehen. Dann packte er den Inspektor unter den Schultern und lehnte sich zurück, um den Mann hineinzuschleifen. Fast hätte er ihn jedoch wieder fallen lassen, als Arkadian leise stöhnte.
Gabriel zog ihn herein, schloss den Notausgang und fühlte am Hals nach einem Puls. Er fand einen und runzelte die Stirn. Der Mann hatte zwei Löcher im Hemd. Sie lagen dicht beieinander. Gabriel steckte die Finger durch eines davon und fand warmes Metall. Er zerriss das Hemd, und eine kugelsichere Weste kam zum Vorschein. Zwei platt gedrückte Kugeln steckten genau auf Höhe des Herzens darin. Die Wucht der Einschläge hatte ausgereicht, Arkadian k.o. gehen zu lassen, aber nicht, um ihn zu töten.
»Hey«, sagte Gabriel und schlug den Inspektor auf beide Wangen. »Kommen Sie schon. Aufwachen.«
Er schlug immer härter, bis Arkadian schließlich den Kopf wegdrehte und die Augen öffnete. Er schaute Gabriel an. Sein Blick war klar, und er versuchte aufzustehen.
»Immer schön langsam«, sagte Gabriel und legte dem Mann die Hand auf die Brust. »Sie haben ein paar Treffer abbekommen. Wenn Sie jetzt aufstehen, könnten Sie wieder das Bewusstsein verlieren, und ich muss wissen, mit was für einem Wagen Sie gekommen sind.«
»Mit einem Zivilfahrzeug«, krächzte Arkadian mit trockener Stimme.
»Das ist weg«, sagte Gabriel, griff in seine Tasche und holte sein Handy heraus. »Wer auch immer den Wagen geklaut hat, hat vermutlich auch auf Sie geschossen und Sie dann einfach liegen lassen, als er geglaubt hat, Sie seien tot. Der Wagen wird jetzt irgendwo zwischen hier und der Zitadelle sein. Aber mahnen Sie Ihre Kollegen zur Vorsicht. Der Kerl hat die Frau dabei.«
Arkadian schaute auf das Handy und erinnerte sich an den Beamten, den er im Wagen gelassen hatte. »Der Fahrer?«, fragte er.
Gabriel schaute ihn mit ernstem Blick an. »Er wird auch in dem Wagen sein.«
Arkadian nickte, und ein Schatten legte sich auf sein Gesicht. Mit seiner unverletzten Hand griff er nach dem Handy. Er gab die Nummer der Zentrale ein, hielt aber nach nur drei Ziffern inne. Beide Männer erstarrten. Draußen im Hangar hatte sich etwas bewegt.
Gabriel huschte geduckt zur Tür. Das Geräusch ertönte erneut. Es klang wie statisches Rauschen oder das Knistern von schwerem Plastik. Gabriel erkannte, was
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